Übergriffige Bedienstete
Keine Seltenheit in der JVA Tegel. Deswegen ist es noch einmal wichtiger, übergriffiges Verhalten zu benennen und zu reagieren. Das gestaltet sich durch die krassen Hierarchien im Knast für die Gefangenen allerdings leider oft sehr schwer bis unmöglich, wie auch die folgende Erfahrung von Kalito zeigt: dieser ging an einem Morgen in das Büro eines Beamten, um Nachfragen bezüglich seiner Arbeit als Hausarbeiter zu stellen. Die Antwort des Beamten empfand er als sehr autoritär. „Ich erwiderte darauf, dass (…) er nicht mein Boss ist. Daraufhin sprang der Beamte auf und fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht rum und sagte ich soll mich verpissen und meine Fresse halten und ihn nicht sauer machen, sonst kriege ich eine von ihm.“
Kalito versuchte sich über dieses übergriffige Verhalten beschweren, ohne Erfolg. Nach etlichen Gesprächen mit dem Beamten und dem Psychologen der Anstalt kam dieser zu dem Entschluss, dass Kalito „doch über solche Bemerkungen einfach Lachen und solche Dinge nicht so groß machen“ soll.
Ibuprofen für alles
Außerdem hatte Kalito vor Kurzem eine Rippenprellung, welche ihm große Schmerzen verursachte. Während sich Menschen vor den Anstaltstoren ärztlich behandeln lassen würden, schlägt die JVA ein anderes „Heilmittel“ vor: Ibuprofen 400mg. Egal welche körperlichen Beschwerden die Gefangenen erleiden müssen, „eine Handvoll Ibus ist alles, was wir bekommen. Egal ob Arm gebrochen, irgendwas geprellt oder einen Virus – für alle Krankheiten dieser Welt gibt es in der JVA Tegel nur ein Gegenmittel.“, so ein Gefangener der Teilanstalt II (TA II).
Kalitos Bericht reiht sich in dieses Phänomen ein.
„Wenn die Ärzte keine Lust haben, schauen sie einfach weg und lassen die Gefangenen mit Schmerzen einfach allein. Ich erlebte es am eigenen Leib. Da ich eine Epilepsie habe, was auch in meiner Gefangenen-Akte steht, sind Anfälle möglich. An einen Abend bekam ich einen Anfall, die Beamten meinten, ‚lass ihn zappeln bis der Arzt kommt. Er wird Drogen genommen haben‘. Der Arzt kam nach 10 Minuten und merkte, dass ich immer weniger atmete. 40 Minuten später kam der Notarzt und musste mich wiederbeleben, da mein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Ich wurde dann ins Krankenhaus mitgenommen.“
Durch den Anfall hatte Kalito noch tagelang Schmerzen in den Knochen und ging deswegen noch einmal zum Arzt. Überraschung: anstelle einer Nachfolgebehandlung gab es Ibuprofen 400mg und auf die Nachfrage von Kalito, weshalb die ärztliche Versorgung so miserabel sei, nur die Antwort des Arztes: „Reicht für euch Abschaum“. Zusätzlich zu den körperlichen Beschwerden sollen Beleidigungen und Diskriminierungen also ebenfalls schweigend hingenommen werden.
Wenn körperliche Beschwerden seitens der Gefangenen missachtet und nicht behandelt werden, gleicht das einer zusätzlichen Körperverletzung, weil die körperlichen Beschwerden immer gravierender und schwerer werden. „Die meisten kommen hier relativ gesund rein und gehen total krank und kaputt raus.“, so ein Gefangener aus der TA II.
Drohungen, übergriffiges Verhalten und Diskriminierungen, ausgehend von den Bediensteten, sind leider auch keine Einzelfälle in der JVA Tegel – wobei die Bediensteten auch keine Folgen für ihr Verhalten fürchten müssen. Durch die Knast Hierarchie sind sie eindeutig am längeren Hebel und können sich oft nahezu alles erlauben. „Draußen“ interessiert es ja eh niemanden, die Öffentlichkeit schreit bei Gewalt gegenüber Gefangenen selten auf.
Psychische und physische Gewalt stehen dementsprechend auf der Tagesordnung und die Bediensteten können sich ihrer Sache fast sicher sein, dass die Gefangenen über die Gewalt schweigen und sie widerstandslos hinnehmen.
Deswegen werden wir Berichte wie diese von Kalito immer wieder veröffentlichen. Um das Schweigen und die Isolation zu brechen, um Gefangenen Gehör zu verschaffen, um immer wieder die Frage zu stellen, wer in Knästen eigentlich kriminell und gewalttätig ist.
Berlin, 11. Dezember 2018
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