Zu Unrecht im geschlossenen Vollzug

Wie eine Kleine Anfrage des Abgeordneten André Schollbach (Die LINKE) ergab, waren die 264 Haftplätze im offenenen Vollzug zum Stichtag 31. Dezember 2016
nur mit 154 Inhaftierten belegt. Das entspricht einer Belegungsquote von 58,3% bei den Plätzen des offenen Vollzugs.

Eine weitere Kleine Anfrage des Abgeordneten ergab, dass sich 3.224 Menschen im geschlossenen Vollzug befanden. Ingesamt befanden sich damit 3.378 Menschen im Vollzug des sächsischen Freistaates. Mit einer Belegung von 4,6% im offenen Vollzug liegt Sachsen weit zurück. Im Bundesdurchschnitt lag die Belegungszahl im offenen Vollzug 2015 bei 16,1% (Quelle: Destatis).

Wie wird der Vollzugsalltag im offenen Vollzug gestaltet?

„Der Gefangene verlässt morgens die Anstalt und begibt sich zu seinem Arbeitsplatz. Nach Ende der Arbeit kehrt er unverzüglich in die Anstalt zurück und bleibt dort, sofern er keinen Ausgang oder Langzeitausgang hat, bis zum nächsten Morgen. In der Anstalt kann der Gefangene sich weitgehend frei bewegen und an den dort angebotenen Freizeit-, Sport- und Behandlungsmaßnahmen teilnehmen. Die meisten Wochenenden verbringt der Gefangene bei seiner Familie.

Innerhalb der Anstalt wird der Gefangene rund um die Uhr beaufsichtigt und betreut. Außerhalb der Anstalt kontrollieren Bedienstete ihn regelmäßig am Arbeitsplatz. Ferner werden die Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, jede Unregelmäßigkeit unverzüglich der Vollzugsbehörde mitzuteilen. Dazu gehören zum Beispiel jede Unpünktlichkeit des Gefangenen, jeder Alkoholkonsum oder jedes andere Fehlverhalten, sei es auch noch so geringfügig. Anders ausgedrückt unterliegt der Gefangene auch im offenen Vollzug einer ständigen, wenngleich auch gelockerten Beaufsichtigung und Kontrolle.“ (Quelle: Justiz Sachsen Anhalt)

Wie verhält es sich mit der rechtlichen Lage?

Der offene Vollzug wurde im Bundesrecht unter §10 StVollzG verankert und, im Zuge der Strafvollzugsreform, in Landesgesetze übernommen. In Bayern ist es der Gesetzgeberin gelungen, mit Art. 12 (1) eine restriktivere Norm einzuführen als es die Bundesgesetzgeberin ursprünglich und mit der Reform vorsah.


Im sächsischen Landesrecht wurde nicht nur auf die aufgeblasene Form des Artikels verzichtet, sondern mit § 15 (1) SächStVollzG der offene und geschlossene Vollzug rechtlich gleichgestellt.

Zur Rechtssprechung in Fragen des offenen Vollzugs kommentiert Lesting:

„Die Anstalt ist verpfichtet, vom Beginn der Strafhaft an zu prüfen, ob und wann eine Über­nahme in den offenen Vollzug erfolgen kann. Insoweit muss bereits der Vollzugs- und Eingliede­rungsplan Erklärungen zu dieser Frage enthalten und fristgerecht fortgeschrie­ben werden. Je näher Gefangene an ihre Entlassung herankommen – und sei es nach § 57 StGB – desto enger wird für die Vollzugsbehörde der Beurteilungs- und erst recht der Ermessensspielraum. […] Bei der Auswahl unter mehreren offenen Anstalten stellt die Wohnsitz­nähe ein zu berücksichtigendes Kriterium dar (OLG Celle v. 31.7.1984- 3 Ws 273/84 [StrVollz]).

Solange die Übernahme in den offenen Vollzug nur mangels freier Plätze nicht erfolgen kann, muss den Gefangenen bereits im geschlossenen Vollzug die Möglichkeit eingeräumt werden, Rechte aus ihrer Eignung für den offenen Vollzug wie z.B. zusätzlichen Urlaub geltend zu machen.

Die Unterbringung im geschlossenen Vollzug trotz Eignung für den offenen Vollzug kann Persönlichkeitsrechte verletzen und einen Anspruch auf Schmerzensgeld begründen (OLG Naumburg NStZ-RR 2014, 124 Ls).“
(Quelle: Feest, Lesting, Lindemann: Strafvollzugsesetze. Beck, 2017, S. 166)

Was fordern wir?

Wir fordern die Auslastung der 264 Plätze im offenen Vollzug sowie deren kontinuierlichen Ausbau zulasten der Plätze im geschlossenen Vollzug. Trotz offenkundiger Überlastung der Justizvollzugsanstalten scheint der offene Vollzug in Sachsen nicht en vogue. Wenn es die Staatsregierung den Gefangenen überlasst mittels gerichtlicher Entscheidungen auf die Verwaltungen einzuwirken, hat sie in ihrer Funktion versagt.

Es muß ein Ende haben, dass sich Vollzugsverwaltungen in der Praxis seit Jahrzehnten der Umsetzung von normativen Vorgaben verweigern. Grade im Bereich der Kleindelikte und Erstatzfreiheitsstrafen befinden sich zahlreiche Gefangene, die den Ansprüchen des § 15 (2) SächStVollzG gerecht werden. Auch im Bereich der Langstrafen muß der offene Vollzug im großzügig bemessenen Zeitraum vor der Haftentlassung realisierbar sein. Sozialiserung wird nicht im geschlossenen Vollzug realisiert.

Leipzig, 28. Januar 2017

Bildquelle

 

Die von den einzelnen AutorInnen veröffentlichten Beiträge geben nicht die Meinung der gesamten GG/BO und ihrer Soligruppen wieder. Die GG/BO und ihre Soligruppen machen sich die Ansichten der AutorInnen nur insoweit zu eigen oder teilen diese, als dies ausdrücklich bei dem jeweiligen Text kenntlich gemacht ist.

2 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.