Presseerklärung der GG / BO
Mindestlohn für arbeitende Gefangene
In verschiedenen Tageszeitungen Baden-Württembergs, wie in den Stuttgarter Nachrichten vom 29. Januar 2015, wurde eine dpa-Meldung zur Frage des Mindestlohns für arbeitende Gefangene veröffentlicht. Darin verwirft ein Landes-Justizsprecher die legitime Forderung der Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO) nach einem Ende der Billiglöhnerei hinter Gittern.
Wiederholt wird die irrige Behauptung aufgestellt, die zur Knastbeschäftigung verpflichteten Gefangenen würden keiner „richtigen Arbeit“ nachgehen. Ihnen fehle der „Arbeitnehmer-Status“, sie würden schlichte behandlungstherapeutische Hilfsarbeiten ausführen und lediglich an einer Art beruflicher Wiedereingliederungsmaßnahme teilnehmen.
Diese Aussagen des Justizministeriums stehen eigenen Verlautbarungen diametral entgegen. Zum Beispiel wirbt die landeseigene Institution des „Vollzuglichen Arbeitswesens“ (VAW) in der JVA Ravensburg wie folgt: „Unsere Niederlassung des Vollzuglichen Arbeitswesens bietet Unternehmen, Behörden und Privatkunden in Oberschwaben ein breites Spektrum an Dienstleistungen zu attraktiven Konditionen. Als Partner der heimischen Wirtschaft fertigen wir mit moderner Anlagentechnik handwerkliche Produkte in Einzel- und Serienfertigung oder übernehmen als verlängerte Werkbank einzelne Produktionsschritte.“ (siehe VAW Ravensburg)
Des Weiteren machen Vertreter_innen aus dem Justizapparat gerne das Rechenmodell auf, dass die Haftkosten „gegen gerechnet“ werden müssten. Unsere Rechnung fällt indes komplett anders aus: Durch die geleistete Arbeit der Inhaftierten wird wesentlich die Infrastruktur in den Knästen aufrechterhalten: die Hausarbeiter in den einzelnen Hafthäusern sind sieben (!) Tage die Woche abrufbar, um bspw. umfangreiche Reinigungsarbeiten durchzuführen. Die arbeitenden Gefangenen in den Anstaltsküchen, der Wäscherei etc. sorgen für die Reproduktion und die beschäftigten Kolleg_innen in den anstaltseigenen Betrieben werden für jedwede (Reparatur-)Arbeit herangezogen.
Diese Tätigkeiten werden von den JVA´s nicht auf dem „freien Markt“ zu Tariflöhnen erworben, sondern den Insassen quasi zum Nulltarif abverlangt. Dies kommt einer Subventionierung des Knastbetriebs insgesamt durch arbeitende Gefangene gleich.
Ein zentraler Schwerpunkt in der Wertschöpfungskette der JVA´s sind die so genannten Unternehmerbetriebe. In diesen wird für externe Firmen oftmals im Akkord produziert und der Staat tritt mittels der JVA-Leitungen als Verleiher der Arbeitskraft Inhaftierter auf.
Es zeigt sich, dass die Betriebslandschaft in den Knästen der Bundesrepublik längst zu einem (regionalen) Wirtschaftsfaktor geworden ist. In der „Sonderwirtschaftszone Knast“ sind sozial- und arbeitsrechtliche Standards, die von der Gewerkschaftsbewegung langwierig erkämpft wurden, nach wie vor außer Kraft gesetzt.
Es widerspricht aus unserer Sicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dass eine Population von etwa 45.000 arbeitenden Gefangenen in den JVA´s der Bundesrepublik aus der Debatte um den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ausgeklammert wird. Statt die Arbeit Gefangener durch das Lohndumping zu entwerten, fordern wir den Mindestlohnsatz von € 8,50 für die Tätigkeiten Inhaftierter, um dann anteilig Kosten für die Unterbringung zu tragen, wie es im Offenen Vollzug praktiziert wird.
Zu den sozialreformerischen Kernforderungen der GG/BO zählt gleichfalls die Einbeziehung der gefangenen Arbeiter_innen in die Rentenversicherung. In der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) 1977 war eine sozialversicherungspflichtige Entlohnung vorgesehen, die unter dem Vorbehalt eines zu verabschiedenden Bundesgesetzes stand – bis heute. Somit ist durch die Untätigkeit der übergroßen Mehrzahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag insbesondere für ehem. Langzeitgefangene der Weg in die Altersarmut vorprogrammiert!
In der erwähnten JVA Ravensburg beginnen sich Inhaftierte im Rahmen der GG/BO zu organisieren; ein Recht, dass auch inhaftierten Kolleg_innen ausdrücklich zusteht, da wir uns als Gefangenengewerkschaft auf die grundgesetzlich verankerte Koalitionsfreiheit (Art. 9, Abs. 3 GG) berufen. Die üblicherweise angeführte so genannte Gefangenenmitverantwortung (§ 160 StVollzG) in den JVA´s lässt inhaftierten Kolleg_innen keinen Spielraum, um gewerkschaftspolitische und –rechtliche Forderungen zu artikulieren und durchzusetzen.
Dass wir uns als GG/BO bewusst nicht im Rahmen des StVollzG bewegen, stellt für uns einen Ausdruck von Emanzipation und Autonomie dar, zumal wir aus der anstaltstypischen Passivität herauszutreten. Was kann (re-)sozialisierender sein, als Interessen wahrzunehmen, Rechte zu formulieren und gesellschaftliche Bündnispartner innerhalb und außerhalb der Parlamente zu suchen und zu finden? Jede Schikanierung der Arbeit der GG/BO im Knast stellt einen Willkürakt gegen das Resozialisierungsgebot des Strafvollzugs dar.
Der Sprecher der GG/BO, Oliver Rast, erklärt, dass mit der Gründung der eigenständigen Gefangenengewerkschaft „Knäste seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreie Zone mehr sind.“ Und weiter führt er aus: „Die soziale Frage hinter Gittern konnte durch die GG/BO gestellt werden. Es ist aus Gewerkschaftssicht unerheblich, ob prekäre Arbeitsverhältnisse vor oder hinter den Knastmauern vorherrschen: sie sind zu skandalisieren und letztlich aufzuheben!“
Die Perspektive der GG/BO ist klar definiert – Rast: „Wir zielen darauf, die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern Etappe für Etappe im Verbund mit solidarischen nicht inhaftierten Kolleg_innen durchzusetzen!“