GG/BO Soligruppe Leipzig: „Ab dem 23. März 2020 sind Besuche in Justizvollzugsanstalten generell ausgesetzt. Dies betrifft auch Angehörige und sonstige nahestehende Personen. Über notwendige Ausnahmen beispielsweise bei Verteidigerbesuchen entscheidet im Einzelfall die Anstaltsleitung“ verkündete das sächsische Justizministerium gestern kurz auf der Corona Sonderseite des Freistaates Sachsen. Damit werden nach Ansicht von inzwischen über 50 europäischen NGOs massiv und unverhältnismäßig Grundrechte verletzt sowie externe Beobachtung ausgeschlossen. -> https://ggbo.de/covid-19/
Vor dem Hintergrund veröffentlichen wir den Bericht des Sicherungsverwahrten Thomas Meyer-Falk, der durch seine gute Vernetzung einen Einblick in den Alltag der bundesweiten Haftanstalten hat:
„Am 17.0.3.2020 wurde in der JVA Bruchsal (Nordbaden) ein 25-jähriger irakischer Gefangener, also kurz nach Inkrafttreten des Besuchsverbots wegen Corona, tot in seiner Zelle aufgefunden. In der JVA Freiburg kam es, auch in Folge der ganzen Restriktionen wegen der Pandemie, zu einer Auseinandersetzung eines 39-jährigen Sicherheitsverwahrten mit dem Personal.
.
Der Suizid in der JVA Bruchsal
.
Wie die Lokalzeitung BNN (https://bnn.de/lokales/bruchsal/alles-deutet-auf-suizid-im-bruchsaler-gefaengnis-hin) berichtete, starb ein 25-jähriger irakischer Gefangener, nachdem das Justizministerium wegen der Corona-Pandemie alle Besuche in den Haftanstalten verboten hat. Seine Lebensgefährtin hätte ihn besuchen wollen. Er habe zwar noch mit ihr telefonieren dürfen, aber es steht zu vermuten, dass das kein echter Ersatz für den entgangenen Besuch war. Der Anstaltsleiter hingegen verbittet sich jede Schuldzuweisung und sieht keinerlei Zusammenhang zwischen Suizid und Besuchsverbot.
.
Einzelhaft für Herrn M.
.
Vor einigen Wochen berichtete ich über Herrn M., dem die Stationspsychologin in einem Therapiegespräch den Hinweis gab, ihm stehe es frei sich in seine Zelle zu begeben und wegzuhängen, nachdem er sich über aus seiner Sicht bestehende Ungerechtigkeiten im Haftalltag bei ihr beschwert hatte. Diese „paradoxe Intervention“, um eine solche habe es sich laut der Diplom-Psychologin gehandelt, wobei sie sich für diese entschuldigte, führte dazu, dass sich, auch bedingt durch die Corona-Maßnahmen, das Verhältnis verschlechterte.
.
M. hätte in der 11. Kalenderwoche viele Besuche bekommen sollen, er feierte seinen 39. Geburtstag, außerdem stand eine Ausführung an, bei der er auch jemanden hätte treffen dürfen (bei einer Ausführung verlassen Sicherheitsverwahrte / Gefangene für ein paar Stunden die JVA, freilich von BeamtInnen bewacht). Fast alles wurde abgesagt, denn das Justizministerium kürzte erst die Besuchszeiten und verbot schließlich (siehe oben) Besuche völlig, ebenfalls die Ausführungen.
.
Am 18.03.2020 kam es dann zu einer lauten Diskussion von Herrn M. mit dem stellvertretenden Stationsleiter, Herrn T. und Minuten später auch mit dem Bereichsdienstleiter W.! Wir hörten dann nur noch den durchdringenden Alarmton, denn einer der Beamten löste Anstaltsalarm aus, sodass binnen 2 Minuten über ein Dutzend BeamtInnen angerannt kamen. M. wurde in Handschellen abgeführt und kam in den „besonders gesicherten Haftraum“ (eine leere Zelle, nur eine Matratze am Boden, ein Loch im Boden als WC, eine Kamera an der Decke). Zwei Tage später verlegte die Anstalt ihn in den Sicherheitstrakt der Strafanstalt, wo er offenbar die Zelle nur in Hand- und Fußketten verlassen darf, weil er Herrn W. geschubst und damit angegriffen haben soll .
.
Ist das erst der Anfang?
.
Die Einschränkungen im Haftalltag, für Menschen die sowieso ein sehr reduziertes Leben führen müssen, treffen die Gefangenen ganz unterschiedlich. Allerdings sind es durchaus harte Einschnitte, angefangen beim Besuchsverbot, weniger Zellenaufschluss, weniger Zeiten im Hof, Einkommensverluste (Schließung der Betriebe – und eine „Lohnfortzahlung“ gibt es nicht), und anderes mehr. Ja, auch die Freiheiten und Möglichkeiten der Menschen vor den Mauern werden erheblich beschränkt und insbesondere die Sorge um das eigene ökonomische Überleben wird von Tag zu Tag größer. Ich selbst würde also nicht davon sprechen wollen, dass Gefangene mit am stärksten betroffen sind (denken wir nur mal an die unbegleiteten Kinder an der türkisch-griechischen Grenze die Deutschland hatte aufnehmen wollen und denen nun die Einreise verwehrt wird, und es gibt Hunderttausende in vergleichbarer Lebenslage), aber die Einschnitte sind gravierend! Niemand weiß sicher, ob der Suizid des Gefangenen im Bruchsal ursächlich auf das Besuchsverbot zurückgeführt werden kann, aber der Gedanke liegt nahe.
.
Wenn die Maßnahmen nun Wochen oder Monate anhalten sollten, dürfte der Unmut, und bei manchen auch die Verzweiflung größer werden; damit teilen sie das Schicksal der Menschen vor den Gefängnismauern…
.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8
D-79104 Freiburg,
https://freedomforthomas.wordpress.com“
Leipzig, 24. März 2020
Die von den einzelnen AutorInnen veröffentlichten Beiträge geben nicht die Meinung der gesamten GG/BO und ihrer Soligruppen wieder. Die GG/BO und ihre Soligruppen machen sich die Ansichten der AutorInnen nur insoweit zu eigen oder teilen diese, als dies ausdrücklich bei dem jeweiligen Text kenntlich gemacht ist.
Die von den einzelnen AutorInnen veröffentlichten Beiträge geben nicht die Meinung der gesamten GG/BO und ihrer Soligruppen wieder. Die GG/BO und ihre Soligruppen machen sich die Ansichten der AutorInnen nur insoweit zu eigen oder teilen diese, als dies ausdrücklich bei dem jeweiligen Text kenntlich gemacht ist.