Seit dem 1. Januar gilt der Mindestlohn, aber nicht für Gefangene – Rentenanspruch haben sie auch keinen
Angelika Kahl
Sie falten Staubsaugerbeutel, kuvertieren Werbematerial oder befüllen Plastikdosen mit Hühnerfutter. Gefangene der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim in München, Bayerns größtem Gefängnis, verrichten im Auftrag von insgesamt 36 Unternehmen verschiedenste Arbeiten. Für welche, ist geheim. Auch Fahrräder werden in den gefängniseigenen Werkstätten montiert, Rollstühle repariert und BlueRay-Laufwerke montiert. Der Verdienst: 8,96 bis 14,93 Euro am Tag – je nachdem, wie anspruchsvoll die Arbeit ist. Das macht einen Stundensatz zwischen 1,12 und 1,87 Euro.
Seit dem 1. Januar gilt ein gesetzlicher Mindeststundenlohn von 8,50 Euro. Aber nicht für Gefangene. Ein Skandal, findet der Verein Gefangenen-Gewerkschaft. Er hat sich im Mai 2014 gegründet und aktuell 400 Mitglieder. Und auch für die bayerische Linke ist die geringe Vergütung von Gefangenen „kein haltbarer Zustand“. Die Landesvorsitzende Eva Bulling-Schröter betont: „Natürlich sind die Gefangenen beim Mindestlohn miteinzubeziehen.“
Allerdings: Solange Strafgefangene durch das Strafvollzugsgesetz zur Arbeit verpflichtet sind, sind sie keine Arbeitnehmer im Sinne des Mindestlohngesetzes. Eine Debatte über Alternativen zur Arbeitspflicht würde deshalb der DGB Bayern begrüßen. Für Bayerns Justizminister Winfried Bausback keine Option: „Eine sinnvolle und sinnstiftende Arbeit gibt den Gefangenen nicht nur Halt und Struktur in der Haft“, sagt er der Staatszeitung, „sondern soll sie auch an ein auf eigener Arbeit aufgebautes Leben ohne Straftaten vorbereiten.“ Aus demselben Grund ist auch der Mindestlohn für Strafgefangene für ihn kein Thema: „Beim Mindestlohn geht es darum, dass Menschen mit dem Geld, das sie verdienen, ihre Miete und ihren Lebensunterhalt bezahlen können.“ Bei der Arbeit der Gefangenen dagegen gehe es um Resozialisierung.
Freigänger wie Uli Hoeneß dürfen mehr verdienen
Dabei besteht die Arbeitspflicht ohnehin nur auf dem Papier. Die Beschäftigungsquote in bayerischen JVAs lag 2013 bei nur 52,39 Prozent. Das liegt zwar auch daran, dass zum Beispiel Untersuchungshäftlinge nicht arbeiten müssen. Tatsache aber ist: Es gibt längst nicht genug Arbeit für alle – auch wenn der Staat für die Leistungen der JVAs als „verlängerte Werkbank“ der heimischen Wirtschaft und günstige Alternativen zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland kräftig wirbt. Geplant ist sogar ein Online-Shop für Produkte aus gefängniseigenen Betrieben. „Man darf nicht vergessen: Etwa ein Drittel der Gefangenen haben bei der Inhaftierung keine abgeschlossene Schulbildung, rund die Hälfte sind ohne abgeschlossene Berufsausbildung und weit über die Hälfte waren vor der Inhaftierung ohne geregelte Beschäftigung“, sagt Bausback. Deshalb unternehme man große Anstrengungen, um die Möglichkeiten zur Ausbildung und zur Beschäftigung der Gefangenen zu sichern und auszubauen.
Mit einer spürbaren Erhöhung der Gefangenenentlohnung aber könnten künftig noch weniger Unternehmen für eine Zusammenarbeit gewonnen werden und somit Arbeitsplätze wegfallen, befürchtet Bausback. Auch Franz Schindler, rechtspolitischer Sprecher der Landtags-SPD, bestätigt: „Während meiner Zeit als Gefängnisbeirat in Regensburg haben einige Arbeitgeber ihre Produktion nach Tschechien verlagert, und es ist ganz schwer, diese wieder zurückzuholen.“ Deshalb fände er die Einführung eines Mindestlohns für Gefangene zwar „schön, das ist aber utopisch“. Diese Problematik sieht auch Ulrike Gote, rechtspolitische Sprecherin der Grünen. „Das, was Gefangene verdienen, ist zu wenig, aber was den Mindestlohn angeht, bin ich skeptisch.“ Was in ihren Augen aber nicht sein dürfe: dass der Staat aus der Gefängnisarbeit Gewinn erziele.
Die Einnahmen aus der Arbeit aller Gefangenen betrugen 2013 über 46 Millionen Euro, heißt es in der Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Freien Wählers Florian Streibl. Die durchschnittlichen Haftkosten für einen Gefangenen in Bayern beliefen sich auf täglich 98,80 Euro – die Einnahmen aus der Häftlingsarbeit bereits eingerechnet. Überschüsse werden also nicht erzielt.
Doch das Thema Gefangenenentlohnung hat noch eine weitere Dimension. Denn Inhaftierte sind trotz Arbeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Und das habe verheerende Auswirkungen auf die Zeit nach der Haftentlassung, kritisieren Linke, DGB, Grüne und SPD unisono. „Eine Absicherung würde auch zur Resozialisierung beitragen“, betont Gote. Erhebliche Zweifel, ob sich die Rechtslage auf Dauer so halten ließe, hat Schindler. „Denn den Gefangenen entstehen durch die Nichteinbeziehung in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung Nachteile, die über das Maß hinaus gehen, die der Strafvollzug eben mit sich bringt.“ Eine Ausnahme übrigens gibt es: Gehen Gefangene wie Uli Hoeneß im offenen Vollzug einem freien Beschäftigungsverhältnis nach, gilt für sie ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag, der in der Regel auch die gesetzlichen Sozialversicherungen enthält. In diesem Fall muss ein Haftkostenbeitrag für Unterkunft (bis zu 183,60 Euro im Monat) und Verpflegung (bis 224 Euro) gezahlt werden.
Bislang sind alle Vorstöße für einen generellen Rentenanspruch von Gefangenen an den damit verbundenen Kosten gescheitert. Für sie müssten die Länder aufkommen. Deshalb lehnen auch Streibl (FW) und Petra Guttenberger (CSU) das ab. Eine auskömmliche Altersvorsorge würde damit ohnehin nicht geschaffen, so Guttenberger. Uta Maria Kuder (CDU), Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern, will das Thema auf der Justizministerkonferenz im Frühjahr verhandeln. „Es gibt gute vollzugliche Argumente für einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz“, sagt Bayerns Justizminister Bausback. Doch auch er verweist auf die Kosten: allein in Bayern schätzungsweise über 30 Millionen Euro. „Und die Einführung staatlicher Leistungen muss sich immer auch an den übergeordneten Zielen der Haushaltskonsolidierung messen lassen.“