Sachsen: Versorgung bei COVID-19 bedingtem Verdienstausfall im Justizvollzug gefährdet

Im Sächsischen Landtag wurde durch die Linksfraktion ein Maßnahmenpaket beantragt, mit dem Ziel auch in der Pandemiezeit einen funktionierenden Strafvollzug gewährleisten zu können. Insgesamt wurden neun Punkte ausformuliert, die am 21. Januar 2021 im Rechtsausschuss verhandelt werden sollen. Das Paket umfasst unterschiedliche Forderungen. So soll bspw. die Anzahl der Strafgefangenen im Vollzug deutlich reduziert werden, indem die Vollstreckung bestimmter Strafen ausgesetzt wird und die Gefangenen sollen mehr an Entscheidungsprozessen teilhaben sowie über aktuelle Geschehnisse besser informiert werden. Des Weiteren wird die „Fortzahlung der Vergütungen bei pandemiebedingter Schließung von Arbeits- oder Werkstätten bzw. bei entsprechenden pandemiebedingten Arbeitszeitverkürzungen“ gefordert. Bereits im Vorfeld hatte sich die Sächsische Staatsregierung zu Punkten geäußert (vgl. Drs 7/4465)
Hinsichtlich der Fortzahlung der Vergütungen lautet Position der Staatsregierung wie folgt:

Den Gefangenen kann mangels Rechtsgrundlage derzeit kein Verdienstausfall gewährt werden. Der Vergütungsanspruch nach § 55 Sächsisches Strafvollzugsgesetz (SächsStVollzG) besteht nur, wenn die Gefangenen die Arbeit tatsächlich ausüben. Demnach besteht kein Anspruch bei ausgefallener und/oder (schuldlos oder schuldhaft) versäumter Arbeitsleistung, bspw. aufgrund Krankheit, Verhinderung durch sonstige vollzugliche Maßnahmen, Arbeitsmangel, Betriebsruhe, Feiertagen oder organisationsbedingten Arbeitsausfalls. Auf arbeitende Gefangene ist der Arbeitnehmerbegriff nicht anwendbar – weshalb der Anwendungsbereich des Entgeltfortzahlungsgesetzes nicht eröffnet ist. Ebenso besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld gemäß § 95 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (sGB ilr).“
Als GG/BO möchten wir das nicht hinnehmen. Vielmehr plädieren wir dafür eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die eine Lohnfortzahlung garantiert. Als Vorbild könnte die Verlautbarung des Justizsenates in Berlin dienenindem bereits am 17. März 2020 für die Beschäftigung und Qualifizierung sowie den Freizeitbereich folgende Bestimmung erlassen wurde:
Die Ausgestaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Freizeit- und Sportangeboten soll so erfolgen, dass Infektionsrisiken minimiert werden. Ist zu der Eindämmung der Pandemie die Schließung von Arbeitsbetrieben/Werkstätten notwendig bzw. werden Arbeitszeiten verkürzt und dadurch die Gefangenen in der Ausübung ihrer Arbeit bzw. Ausbildung gehindert, wird dennoch eine Vergütung gezahlt. Es soll sichergestellt werden, dass sich die Inhaftierten – auch unter dem Eindruck sonstiger (massiver) Beschränkungen – weiterhin in gewohntem Umfang mit Nahrungs- und Genussmitteln versorgen und weitere Bedarfe abdecken können.“(Quelle:https://www.berlin.de/sen/justva/presse/informationen-zu-corona/#justizvollzug)
Das Leben in Haft ist durch die Corona-Pandemie massiv engeschränkt und stellt dadurch eine enorme Belastung für die Gefangenen dar. Es kommt vermehrt zu Ausfällen in der Arbeit, Ausbildung und im Schulbetrieb, Beratungen mit (externen) Mitarbeiter*innen sind teilweise nur begrenzt möglich und Freizeitangebote finden kaum noch statt. Der sowieso schon triste Alltag wird durch immer mehr (Kontakt-)Einschränkungen stark reglementiert. Die Gefangenen befinden sich für den Großteil ihrer Haftzeit eingesperrt und sozial isoliert in ihren Zellen. Aufgrund von erhöhten Infektionsrisiken sind auch die Besuche stark eingeschränkt und nur für „nahe Familienangehörige“ vorgesehen. Viele der Insassen haben jedoch keinen Kontakt zu direkten Angehörigen. Häufig bleibt vielen Gefangenen demnach nur das  Briefe schreiben und das Telefonieren, denn der Kontakt zur Außenwelt schafft Erleichterung und gibt Halt und Zuversicht. 
Telefonieren in Haft ist zudem sehr teuer und übersteigt deutlich die üblichen Telefonkosten außerhalb  der Mauern. Doch nicht nur das Telefonieren sondern auch die Einkaufspreise für Essen und Trinken befinden sich deutlich oberhalb der üblichen Marktpreise. Die Gefangenen sind demnach auf ihren sowieso schon viel zu geringen Lohn angewiesen um im Kontakt mit geliebten Menschen zu bleiben und sich im tristen Haftalltag auch mal etwas gönnen zu können.
Wir fordern demnach die Sächsische Staatsregierung auf eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die einen vollständigen Vergütungsanspruch auch bei Schließung von Arbeits- und Ausbildungsbetrieben sowie bei Kürzungen der Arbeitszeiten aufgrund der Corona-Pandemie garantiert.
Leipzig, 15. Januar 2021

 

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1 Kommentar

  1. Als bundesweit tätiger Verteidiger in Strafvollzugs- und Strafvollstreckungsangelegenheiten begrüße ich eine derart klare Positionierung.
    Hohe Telefonkosten, insbesondere über Telio als Anbieter für Gefangenentelefonie in Schleswig-Holstein, zwingen Gefangene derzeit insbesondere wirtschaftlich dazu, ggf. auch mal ein Handy eines Mitgefangenen zu nutzen oder sich ein solches – leider zumeist immer noch illegal- zu beschaffen. Ein Disziplinarverfahren im Falle eines Handyfundes versperrt sodann auch den Weg in Vollzugslockerungen bzw. eine etwaige vorzeitige Entlassung. Die Lebensverhältnisse im Vollzug sind insoweit denen außerhalb der JVA anzugleichen. Till-Alexander Hoppe, Rechtsanwalt aus Kiel

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