„Verbrecher lohnen sich“ – Der Spiegel

Der Spiegel 33 / 2005

Von Caroline Schmidt

In Zeiten knapper Kassen bauen Justizministerien ihre Gefängnisse zu Profitcentern aus. Viele Knastbetriebe florieren – als günstige Alternative zu osteuropäischen Billigarbeitern.

Sven R. hat einen Arbeitsplatz, wie ihn sich viele wünschen: krisensicher, zu Fuß gut erreichbar und in angenehmer Umgebung.

Der 25-Jährige arbeitet in einem ehemaligen Kloster aus dem Mittelalter, toskanagelb und mit wildem Wein bewachsen, liegt es idyllisch in den saftig-grünen Bergen Württembergs. Seinen Tag beginnt Sven R. in einem kühlen Raum, wo er Weinflaschen etikettiert. Dann geht er hinaus zu den Rebstöcken, die in langen Reihen die Hügel überziehen. Mit einer roten Gartenschere schneidet er die „Geiztriebe“ ab, die den noch grünen Trauben das Licht nehmen.

Doch Sven R. ist kein ganz gewöhnlicher Winzer – er ist ein Betrüger, verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Auf dem Weingut der Staatsdomäne Hohrainhof, einer Außenstelle der Heilbronner Haftanstalt, arbeitet er gemeinsam mit 29 anderen Gefangenen. Und das mit Erfolg: Im vergangenen Jahr erwirtschafteten sie einen Gewinn von 15 000 Euro. „Früher haben wir zwar auch schon Wein verkauft“, sagt Anstaltsleiter Ulrich Schlicher, „aber nicht so professionell wie heute.“

Langsam, aber sicher dringt der Kapitalismus auch in eine der letzten Bastionen bundesrepublikanischer Staatswirtschaft ein. In Zeiten knapper Kassen haben die Länder eine neue Einnahmequelle entdeckt: ihre Strafvollzugsanstalten. Immer mehr Justizministerien bauen die Knäste zu Profitcentern aus und bieten ihre Häftlinge als Billigjobber an: Verbrecher sollen sich lohnen, lautet die Devise.

Offensiv präsentieren sich die Haftanstalten gegenüber Industrie und Handwerk als günstige, nahe gelegene und hochsichere Alternative zu Produktionsstätten in Tschechien, Rumänien oder Fernost: Die Gefangenen verdienen wenig, sind zur Arbeit verpflichtet, und den meisten ist das sogar recht – so vergeht die Zeit schneller.

Stolz werben viele der rund 200 deutschen Haftanstalten für ihre Produkte: gezüchtete Azaleen, Würstchengrills, Gartenzäune oder Bollerwagen. Möbel werden nach Maß gefertigt, Schuhe repariert. Einige Waren lassen eindeutig schwarzen Humor erkennen, etwa die selbstgenähte Richterrobe oder Eier von freilaufenden Gefängnishühnern. Auch Dienstleistungen sind im Angebot: Autoreparaturen, Schlosserarbeiten oder Cateringservice für die Freunde deftiger Küche.

Die geistigen Väter der Anstaltsoffensive sind angetan von den ersten Erfolgen. „In den vergangenen vier Jahren“, freut sich der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll (FDP), „haben wir es nicht nur geschafft, mehr Gefangene in Arbeit zu bringen – wir konnten auch die Einnahmen um fünf Prozent steigern.“

Vorreiter ist Bayern, das den Gefängnissen schon 1990 eine betriebswirtschaftliche Buchführung verordnete. 2003 erwirtschafteten die Weiß-Blauen die höchsten Einnahmen pro Gefangenen (elf Euro am Tag) und steigerten ihren Umsatz im vergangenen Jahr auf 44 Millionen Euro. Die Expansion schreitet fort: In knapp einem Viertel der bayerischen Haftanstalten sollen neue Arbeitsgebäude entstehen – und das mitten in der Wirtschaftskrise. Deutschland bewegt sich, zumindest hinter Gittern.

Die Erfolgsgeschichte der Knast-Economy beruht auf einem simplen Rezept – niedrige Lohnkosten. Bei unqualifizierten Tätigkeiten konkurrieren die Haftanstalten mit osteuropäischen oder fernöstlichen Billiglöhnern. Der Stundenlohn in Rumänien beträgt weniger als vier Euro, zu dem Transportkosten gerechnet werden müssen. Da kann es sich für Unternehmen schon lohnen, statt in Siebenbürgen etwa in Stuttgart-Stammheim Spielgeld per Hand in Plastikverpackungen einschweißen zu lassen. Die Produktion in dieser Anstalt, die in den Siebzigern durch die RAF-Prozesse bekannt wurde, kostet die Auftraggeber sechs bis neun Euro die Arbeitsstunde, andere Gefängnisse produzieren noch billiger. Der Gefangene erhält davon im Schnitt 1,50 Euro.

Kein Wunder also, dass Unternehmer gern im Justizvollzug rackern lassen. Experten schätzen, dass jedes deutsche Auto mindestens einen elektrischen Knopf hat, der aus sachkundiger Verbrecherhand stammt. Das Gefängnis Straubing entwickelt mit Häftlingen sogar Flugzeugteile an Computern. Ein großer Gartenutensilienhersteller lässt Rasensprenger hinter Gittern zusammenschrauben. „Eigentlich ist es doch erschreckend“, sagt Rainer Wegener, Leiter der Haftanstalt im westfälischen Hamm, „dass die Gefängnisse bei einfachen Tätigkeiten in Deutschland inzwischen die Einzigen sind, die der internationalen Konkurrenz noch standhalten können.“

Doch billig sein allein reicht nicht. Man müsse sich zudem „marktgerecht“ präsentieren, meint Hermann Korndörfer, Abteilungsleiter Strafvollzug im bayerischen Justizministerium. Patrick Herrling, Hauptgeschäftsführer des „Vollzuglichen Arbeitswesens“, wie dieses Unternehmen in Baden-Württemberg offiziell heißt, schwört deshalb auf PR: „Wer sich nicht bemerkbar macht, wird vergessen.“

Bayern hat eigens Farbbroschüren in Umlauf gebracht, in denen sich die Anstalten als „Partner der Industrie und des Handwerks“ und „Alternative zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland“ preisen. Auch auf die für den Öffentlichen Dienst ungewöhnlich große Flexibilität wird nachdrücklich aufmerksam gemacht: Wenn es sein muss, könnten die Gefangenen des Freistaats auch Nacht- und Wochenendschichten schieben.

Die Leiterin der Arbeitsverwaltung in Hamm, Sabine Pröpper, wurde aktiv, als die Arbeitslosenquote in ihrem Gefängnis vor anderthalb Jahren auf 80 Prozent kletterte und ihre Häftlinge vor Langeweile fast umkamen. Pröpper designte einen Flyer („Tütenkleben?! Wir können mehr!“) und telefonierte 70 Firmen ab.

Als Managerin Katrin Mathony das Faltblatt der Knackis in die Hände fiel, stand ihre junge Firma BJ Automotive kurz vor der Entscheidung, einen Teil der Produktion an einen „Low-Cost-Standort“ zu verlegen: nach Estland. Das Unternehmen wollte schließlich im heißumkämpften Markt der Autozulieferer überleben. Es fertigt Schalter und Taster, zurzeit für Audi, Ferrari, VW und Porsche. 20 Euro pro deutscher Arbeitsstunde konnte sich Mathonys Firma nicht länger leisten.

Das Knastangebot – knapp sechs Euro die Stunde – kam da wie gerufen. Die Firma erholte sich und konnte im eigenen Betrieb an der Hammer Hafenstraße sogar 25 neue Mitarbeiter einstellen. Auch für die Einsitzenden hat es sich gelohnt. In einem neuen Vertrag erhielten die ungewöhnlichen Partner eine Jobgarantie für die Haftanstalt: BJ Automotive verpflichtet sich, die nächsten fünf Jahre mindestens 20 Gefangene zu beschäftigen.

Die zweite Einnahmequelle vieler Haftanstalten sind ihre eigenen Produkte. Für deren Vermarktung steigen derzeit immer mehr Länder in den E-Commerce ein. Nordrhein-Westfalen etwa startete 2004 mit einer grün-weißen Homepage, auf der das Bundesland sein Möbelprogramm „Raum und Form“ mit vielen Bildchen präsentiert. Die rund 250 weiteren Produkte aus den Haftanstalten von A wie „Absperrungen, Metall“ bis Z wie „Zwiebeln“ sollen demnächst ebenfalls im Netz zu haben sein.

Doch zu viel Aufsehen dürfen die Haftanstalten nicht erregen. Denn die Konkurrenz aus dem Knast ruft inzwischen sogar Wirtschaftsverbände auf den Plan. So hatte das „Gitter-Lädle“ – ein Knast-Shop in einer Baracke vor der Haftanstalt Heilbronn – schon Ärger mit den Metzgern der Umgebung. Die angebotene Haft-Wurst schien ihnen zu billig.

In Berlin schrieb die Buchdrucker-Innung einen wütenden Brief an Justizsenatorin Karin Schubert (SPD), als sie einen Eintrag des Tegeler Gefängnisbetriebs in einem Branchenführer entdeckte. Nächstes Mal werde man dort wohl nicht mehr inserieren, heißt es inzwischen aus der Senatsverwaltung. Auch die Berliner Großwäschereien, die sich trotz der starken polnischen Konkurrenz noch am Markt halten, empörten sich über die Arbeitsoffensive aus dem Gefängnis – eine Telefonwerbeaktion ihrer Kollegen vom Knast in Plötzensee. Die hatten damit versucht, in den Sektor der Hotel- und Gaststättenwäsche zu expandieren.

Doch Vorwürfe aus der freien Wirtschaft kontert die bayerische Ministerin Beate Merk (CSU) mit der Entlastung für den Steuerzahler. Über die Einnahmen aus den Haftwirtschaftsbetrieben habe sie es geschafft, die Vollzugskosten für den Steuerzahler auf 68,51 Euro pro Gefangenen und Tag zu drücken. Im Bundesschnitt liegen sie bei rund 90 Euro. Außerdem seien die Insassen gesetzlich zur Arbeit verpflichtet, man sei schließlich „kein Hotelvollzug, sondern ein fordernder Vollzug, in dem der Häftling lernen soll, seinen Lebensunterhalt zu verdienen“. Wenn einer in Bayern sich weigert zu arbeiten, wird er mit Disziplinarmaßnahmen belegt.

Doch der Aufschwung im Knast hat auch unerwünschte Nebeneffekte. Wie weit einen die Haftarbeit bringt, zeigte ein Gefangener aus einer süddeutschen Anstalt. Er war dort zum Schweißer ausgebildet worden und nutzte die neuen Kenntnisse prompt nach der Entlassung: Er knackte einen Tresor. CAROLINE SCHMIDT

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