Am 12. September entscheidet das Bundessozialgericht in Kassel über die Klage eines Thüringer ex-Gefangenen gegen die Diskriminierung von ex-Gefangenen durch die Bundesagentur für Arbeit. Dabei wird er von der Gefangenen-Gewerkschaft unterstützt.
Ex-Gefangene werden in dieser Gesellschaft auf verschiedene Arten und Weisen diskriminiert. Zumeist, z.B. auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt, findet das informell statt. Aber manchmal basiert diese Ungleichbehandlung auf institutionellen Anweisungen. So im Falle der Bundesagentur für Arbeit. Seit 2012 gibt es eine Anweisung der Bundesagentur für Arbeit, ex-Gefangene bei der Berechnung der Anwartschaft auf ALG I zu benachteiligen.
Arbeitslose müssen innerhalb von zwei Jahren ein Jahr Arbeit nachweisen, um ALG I zu bekommen. Bei einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis werden dabei alle Tage von Beginn bis Ende des Arbeitsverhältnisses zusammengezählt, d.h. auch arbeitsfreie Samstage, Sonn- und Feiertage. So war das auch bei ex-Gefangenen, die hinter Gittern gearbeitet haben. Seit 2012 allerdings gibt es eine Anweisung der Bundesagentur für Arbeit an die JVAs, bei der Berechnung der gearbeiteten Tage arbeitsfreie Samstage, Sonn- und Feiertage abzuziehen. Während allen anderen Arbeiter_innen also pro Woche 7 und pro Jahr 365 Tage berechnet werden, kommen ex-Gefangene pro Woche nur auf 5 und pro Jahr nur auf 260 gearbeitete Tage. Das bedeutet, dass ex-Gefangene 21 Wochen mehr gearbeitet haben müssen als andere Arbeitslose, um den gleichen Anspruch auf ALG I zu erhalten und dass sie also viel schneller in die Mühlen von Hartz IV geraten.
Ein Thüringer ex-Häftling hat im Februar 2012 Antrag auf ALG I gestellt. Als ihm das trotz eigentlich erfüllter Anwartschaft verwehrt wurde, klagte er im März 2012 gegen die Bundesagentur für Arbeit. Das Sozialgericht Gotha entschied im Juni 2013 zugunsten der Bundesagentur für Arbeit. Der ex-Gefangene ging in Berufung. Daraufhin gab das Landessozialgericht in Gotha ihm im August 2016 Recht. Die Bundesagentur für Arbeit ist jedoch kurz darauf in Revision gegangen. Eine Grundsatzentscheidung steht nun am 12. September vorm Bundessozialgericht in Kassel aus.
Als Jenaer Solidaritätsgruppe der Gefangenen-Gewerkschaft fordern wir die Bundesagentur für Arbeit auf, ihre diskriminierende Praxis sofort zu beenden und alle Häftlinge, die durch sie in den letzten 5 Jahren benachteiligt wurden, zu entschädigen. Wir bereiten hierzu in den nächsten Wochen Proteste in Jena vor und werden den Kollegen bei seinem Prozess in Kassel durch unsere Anwesenheit solidarisch unterstützen. Darüber hinaus sehen wir hierin ein weiteres Beispiel für die Diskriminierung der Gefangenen und ex-Gefangenen durch diese Gesellschaft und ihren Staat – neben der Ausbeutung der inhaftierten Arbeiter_innen für 1-2 € die Stunde statt Mindestlohn, ihrem Ausschluss aus den Sozialversicherungssystemen (mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung) und der dauerhaften Repression gegen Häftlinge, die sich in ihrer Gewerkschaft, der GG/BO, organisieren.
Jena, 16. August 2017
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