Für arbeits- und sozialrechtliche Mindeststandards für gefangene Arbeiter_innen in den JVA´s Niedersachsens!
Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem GG/BO-Sprecher Oliver Rast am 24.2.15 in Hannover
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) ist im Mai 2014 angetreten, um die soziale Frage hinter Gittern zu stellen. Die Forderungen nach einer Einbeziehung in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und die Rentenversicherung für arbeitende Gefangene stehen hierbei ganz oben auf unserer Agenda. Die Knastbetriebe waren seitens der Gefangenen ein gewerkschaftsfreier Raum, der mit der Gründung und des organisatorischen Aufbaus der GG/BO zusehends erschlossen wird. Die GG/BO ist in etwa 40 Haftanstalten mit mehr als 450 Mitgliedern in der Bundesrepublik präsent. In einem Dutzend Knästen konnten Sprecher benannt werden, die die Gewerkschaftsarbeit vor Ort koordinieren.
In den vergangenen Jahrzehnten sind die JVA´s mehr und mehr zu Produktionsstätten und Fabrikanlagen geworden, in denen die Inhaftierten aufgrund des Arbeitszwanges verpflichtet sind, zum faktischen Nulltarif ohne umfassende sozialrechtliche Absicherung ans Werk zu gehen.
Über die eigens eingerichtete so genannte Justizvollzugsarbeitsverwaltung (JVAV) wirbt das Land Niedersachsen mit dem staatlich sanktionierten Sozial- und Lohndumping hinter den Knasttoren. Auf deren Homepage heißt es wie in einem Werbeprospekt: „Wir sind ein moderner und leistungsstarker Landesbetrieb mit betriebswirtschaftlicher Ausrichtung. Unser Anliegen ist die Stärkung der regionalen Wirtschaft. Hierzu steht Ihnen in unseren Fertigungs- und Lohnarbeitsbetrieben in Niedersachsen ein breites Angebot an Dienstleistungen, Handwerk und industrieller Produktion zur Verfügung.“
Bislang verweigern sich die Verantwortlichen in den Justizbehörden und JVA-Leitungen hartnäckig, die negativen Folgen der Billiglöhnerei hinter Gittern und die Funktionalisierung der JVA-Betriebe als verlängerte Werkbank der regionalen Wirtschaft gegenüber kritischen Pressenachfragen einzuräumen: Realität ist, dass die Knäste zu Sonderwirtschaftszonen geworden sind, in denen arbeits- und sozialrechtliche Standards außer Kraft gesetzt sind. Standards, für die die Gewerkschaften jahrzehntelang gekämpft haben. Unsere inhaftierten Kolleg_innen sind von Mindest- oder gar Tariflöhnen ebenso ausgenommen wie von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder einer Rentenversicherungspflicht. Insbesondere die Nicht-Einzahlung in die Rentenkasse führt nach einer mehrjährigen Haftzeit geradewegs in die Altersarmut.
Das regelmäßig vorgebrachte (Schein-)Argument, dass gefangene Arbeiter_innen in den Werksbetrieben keiner vollwertigen und vergleichbaren Arbeit nachgehen würden, steht in krassem Widerspruch zu den offiziellen Erklärungen der JVAV: „In den Eigenbetrieben fertigen Gefangene unter der Anleitung qualifizierter Handwerksmeister – je nach Bedarf mit hochmodernem Maschinenpark – Halbfertigfabrikate und Serien-Produkte im Kundenauftrag. In den Dienstleistungsbetrieben führen Gefangene unter der Anleitung fachlich vorgebildeter Betriebsleiter Lohnarbeiten aller Art aus.“ (ebd.)
Dabei zielt die JVAV „bei der professionellen Abwicklung der übernommenen Aufträge“ ausdrücklich auf eine „erhöhte Wertschöpfung“ und eine „Steigerung der Produktivität“, was im Klartext nichts anderes bedeutet, als die Ausbeutungsspirale für die inhaftierten Beschäftigten über Pensums- und Akkordarbeit zu forcieren. (vgl. ebd.)
In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 31. Januar 2015 wird die Landesjustizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) mit folgenden Worten zitiert: „Haft ist Strafe. Das ist kein Teil des Arbeitsmarktes und deshalb kommt ein Mindestlohn nicht in Betracht“. Die Ministerin liefert an dieser Stelle eine typische Zirkelschlussargumentation, nach der aus der Haftsituation von Menschen eine Doppel- und Dreifachbestrafung abgeleitet wird. Der Sprecher der GG/BO, Oliver Rast, bezieht klar Stellung: „Aus Gewerkschaftssicht ist es ein unhaltbarer Zustand, dass das von der Grünen Antje Niewisch-Lennartz geführte Landesjustizministerium über die landeseigene JVAV die prekären Arbeitsverhältnisse in den JVA-Betrieben schamlos als attraktive Billiglohninsel gegenüber der regionalen Wirtschaft anpreist und die nicht vorhandenen arbeitsrechtlichen Standards für die inhaftierten Kolleg_innen als Lockmittel für Unternehmen benutzt, die zudem um die Sozialabgaben herumkommen.“
Die Aberkennung des „Arbeiternehmer-Status“ für Gefangene in Arbeit ist der administrative Trick, um Zehntausende inhaftierte Beschäftigte fortgesetzt zu entrechten. „Hier haben wir als GG/BO mit unserem gewerkschaftspolitischen und –rechtlichen Kampf um Minimalstandards für unsere Kolleg_innen in der Haft einzugreifen. Auch Inhaftierte haben aufgrund fehlender Produktionsmittel nichts weiter einzubringen, als ihre menschliche Arbeitskraft, die sie als Ware zum Verkauf anbieten. Und unsere Aufgabe als GG/BO ist es, dass diese nicht zum Dumpingpreis verausgabt wird“, so Rast weiter.
Als weiterer „Wettbewerbsvorteil“ kommt laut der JVAV hinzu, das die JVA-Betriebe „Alternativen zu Experimenten in Richtung Auslandsproduktion“ seien. Die inhaftierte Belegschaft wird in eine Billiglohnkonkurrenz verwandelt und zu einem Teil der jederzeit abrufbaren „industriellen Reservearmee“. Die prekäre Arbeitssituation in den Betriebsanlagen der Haftanstalten und die systematische Entwertung der Arbeitsleistung Inhaftierter bilden die Voraussetzungen, um auf dem Rücken der gefangenen Arbeiter_innen für die Auftraggeber eine „Verringerung des Ressourceneinsatzes“ zu ermöglichen und „Kosteneinsparpotenziale“ zu erzielen.
Gleichfalls kann der übliche Vortrag aus den Justizverwaltungen nicht überzeugen, wonach die Haftkosten nach einem nirgends im Strafvollzugsgesetz (StVollzG) zu findenden Schlüssel „gegen gerechnet“ werden müssten. Wenn eine Gegenrechnung aufzumachen ist, dann die, dass die Inhaftierten de facto das Gefängnissystem durch ihre annähernd kostenlose Arbeitsleistung in den Küchen, in der Wäscherei, in den Reparaturbetrieben und als Reinigungskräfte subventionieren. Tätigkeiten, die sonst über Dienstleistungsunternehmen auf dem „freien Markt“ zu gänzlich anderen Geschäftsbedingungen von den JVA-Leitungen zu erwerben wären.
Wir können die Justizministerin Niewisch-Lennartz mit der Arbeitswelt in den JVA´s in Niedersachsen konkret konfrontieren. Wir greifen zwei exemplarische Einrichtungen der JVAV aus ihrem Zuständigkeitsbereich heraus: die JVA Sehnde bei Hannover und die JVA Bremervörde im Norden des Landkreises Rotenburg (Wümme). Die Charakterisierung der Knastarbeit in Sehnde fällt eindeutig aus: „Die Justizvollzugsanstalt Sehnde ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor in der Region […].“ Und: „Tütenkleben war gestern!“ Die Bandbreite der JVA-eigenen Produktionsbetriebe reicht vom Metallbau über die Holz- bis zur Oberflächentechnik. In den profitablen sog. Unternehmerbetrieben können externe Firmen u. a. Verpackungs-, Montage- und Sortierarbeiten in Auftrag geben.
Die JVA Bremervörde trägt das überaus zweifelhafte Prädikat, der erste teilprivatisierte Knast in Niedersachsen zu sein. Die JVA kooperiert mit der BAM – Immobiliendienstleistungen GmbH aus Stuttgart. Es verwundert demnach nicht, dass die JVAV betont, dass in den Werkstätten mit „[h]ervorragende[r] Ausstattung nach modernsten Standards“ „Unternehmen in der Region zu besonders wirtschaftlichen Konditionen vor Ort produzieren lassen [können].“ Hierbei werden die in der Regel arbeits- und kostenintensiven Montage-, Sortier- und Verpackungstätigkeiten sowie die Konfektionierung und Produktfertigung in die JVA-Werkshallen von Bremervörde ausgelagert.
Aber auch im Flächenland Niedersachsen sind die Zeiten vorbei, in denen Gefängnisse für Gefangene ein gewerkschaftsfreies Areal sind. Die Mitgliederkurve der GG/BO zeigt steil nach oben. Rast: „Ungemein positiv ist, dass wir eine kontinuierlich steigende Anzahl von inhaftierten GG/BO-Mitgliedern in den niedersächsischen Knästen vorweisen können. In den Haftanstalten in Sehnde, Bremervörde und Lingen haben sich bereits gewerkschaftspolitisch engagierte Inhaftierte zusammengefunden, um im Rahmen der GG/BO für die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit hinter Gittern zu streiten.“ Mit der Gründung und Ausdehnung der GG/BO zieht in den bundesrepublikanischen Haftanstalten eine längst überfällige Normalisierung ein: Gefangene haben sich mit der GG/BO eine selbst organisierte Plattform geschaffen, um Gehör zu finden. „Solidarität, Sozialreform, Autonomie und Emanzipation sind von nun an keine Fremdwörter mehr hinter Gittern – hierauf haben sich die Justizbehörden in Niedersachen und im gesamten Bundesgebiet einzustellen“, so Rast zusammenfassend.