Presse-Mitteilung der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Oberlandesgericht Hamm (NRW) hat in zwei Beschlüssen vom 02.06.2015 (III – 1 Vollz (Ws) 180/15) und 11.06.2015 (III – 1 Vollz (Ws) 203/15) die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs 1 und 3 GG) von Gefangenen gestärkt bzw. bestätigt.
Zum Ausgangspunkt: Hintergrund der Gerichtsentscheidungen war die Zusendung von Unterlagen der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) (GG/BO-Zeitschrift „outbreak“, Mitgliedsanträge, Briefpapier) im Jahre 2014 an ihr Mitglied und damaligen Sprecher in der JVA Willich I.
Diese Unterlagen wurden in der JVA Willich I der Abteilung für Sicherheit und Ordnung zugeleitet und eine sofortige Aushändigung verweigert. Die JVA war der Auffassung, dass keine Genehmigung für die Aushändigung vorgelegen habe bzw. kein entsprechender Antrag dafür gestellt worden war. Als dieser Antrag nachträglich eingereicht wurde, nahm die JVA Willich die zugesandten Unterlagen „zur Habe“ des Gefangenen.
Nach einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG wurden dem damaligen Sprecher in der JVA Willich I neben der Vereinspublikation „outbreak“ die Unterlagen größtenteils ausgehändigt, nicht jedoch die Anträge auf Mitgliedschaft in der GG/BO.
Das für Strafvollzugsverfahren zuständige Landgericht Krefeld wies den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück. Zur Begründung gab die Strafvollstreckungskammer des LG Krefeld an, dass „[es sich] [b]ei der Antragstellerin [gemeint ist die GG/BO] nicht um eine kollektive Mitverantwortung der Gefangenen i.S.d. § 160 StVollzG [handelt].“ Die Krefelder Richter_innen verstiegen sich zu der Behauptung, dass die so genannte Gefangenenmitverantwortung „eine abschließende Regelung zu der Interessenbeteiligung von Gefangenen am Vollzugsprozess dar[stellt].“ „Jede anderweitige organisierte Mitbestimmung von Gefangenen – wie die der Antragstellerin -“, schlussfolgerte das LG Krefeld, „ist daher mit der gesetzlichen Konzeption der Gefangenenmitverantwortung nicht vereinbar.“ Zudem „[würde] [e]ine rechtlich eigenständige Vertretung der Gefangenen […] ein „unkontrollierbares Einfallstor für unerwünschte subkulturelle Abhängigkeits- und Einflussstrukturen im Vollzug eröffnen.“
Gegen diese simple Zirkelschlussargumentation und tendenziöse Interpretation legten sowohl der Willicher Gefangene als auch die GG/BO als Bundesorganisation Rechtsbeschwerde ein. Unser GG/BO-Sprecher, Oliver Rast, führt hierzu aus: „Zum einen vertreten wir den Ansatz, dass es sich bei den Insassenvertretungen und der Selbstorganisierung in der GG/BO um parallel existierende Möglichkeiten einer Betätigung von Gefangenen handelt, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern unterschiedlichen Konzeptionen folgen. Aber nicht nur das: Im Interesse der Menschen hinter Gittern können beide Stränge zusammenlaufen.“ „Zum anderen“, fährt Rast fort, „verwahren wir uns entschieden gegen den durchsichtigen Versuch, die GG/BO als eine Art ’subkulturelle Verschwörung‘ zu diskreditieren! Was kann sozialisierender sein, als sich im Rahmen eines Gewerkschaftsengagement für soziale Gerechtigkeit und kollegiale Solidarität einzusetzen?“
Die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Verpflichtungsantrages der nicht ausgehändigten Mitgliedsanträge sowie zu Fragen der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit von Gefangenen wurde vom OLG Hamm ausdrücklich zugelassen sowie Leitsätze zur Frage des anwendbaren Rechts aufgestellt.
Ausdrücklich betonte das OLG Hamm, dass die Mitgliedsanträge keine Gegenstände sind, „deren Empfang bzw. Besitz schon aufgrund des Gesetzes verboten wäre“. Sie gefährdeten weder „Sicherheit und Ordnung“ der Anstalt noch das Erreichen des Vollzugsziels.
Soweit unterstellt wurde, dass Inhaftierte kein Recht zur Organisierung in einer Gewerkschaft hätten, bezeichnete das OLG Hamm dies als unzutreffend. „Die Grundrechte der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit sind – von Art. 9 Abs. 2 GG abgesehen – vorbehaltlos gewährleistet und gelten auch im Bereich des Strafvollzuges […]“, so die deutliche Formulierung des OLG Hamm.
Da im Zusammenhang des (Parallel-)Antrages auf gerichtliche Entscheidung der GG/BO als betroffene Partei gleichfalls das rechtliche Gehör durch das Landgericht Krefeld versagt wurde, wurde wegen Verletzung ebendieses Rechts auf Beschluss des OLG Hamm die eingereichte Rechtsbeschwerde der GG/BO zugelassen.
In diesem Beschluss folgt das OLG in Bezug auf die Frage der Koalitionsfreiheit hinter Gittern des Weiteren im Kern der GG/BO-Position: „Mit diesem Vorbringen, nämlich dass § 160 StVollzG keine abschließende Regelung zur Interessenbeteiligung von Gefangenen darstelle – diese Auffassung teilt im Ergebnis auch der Senat, da diese Vorschrift keine konkreten Regelungen hinsichtlich des Umfanges und der inhaltlichen Ausgestaltung der Interessenvertretung beinhaltet, sondern Freiräume zur Erprobung geeigneter Modelle eröffnet […].“
Rast abschließend zu diesen OLG-Beschlüssen: „Die GG/BO ist Realität. Wir sehen in den Beschlüssen des OLG Hamm unsere Position bestätigt, dass Inhaftierte Träger von Grundrechten sind und die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs 1 und 3 GG legitimerweise in Anspruch nehmen können.“
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
Berlin, 17. August 2015