anlässlich der Frühjahrskonferenz 2015 am 17. und 18. Juni
Sehr geehrte Damen und Herren,
in wenigen Tagen findet in Stuttgart die 86. Justizministerkonferenz statt. Ein Thema wird die mögliche Einbeziehung Gefangener in die gesetzliche Rentenversicherung sein. Damit greift die Konferenz eine der Kernforderungen der GG/BO auf. Deshalb wollen wir uns auf diesem Wege mit einigen Ausführungen in die Diskussion einbringen.
Der Ausschluss Inhaftierter aus den gesetzlichen Versicherungen stellt für Gefangene generell eine Benachteiligung dar, die politisch nicht zu rechtfertigen und juristisch zumindest fragwürdig ist. Die hier vorliegende (verfassungswidrige) Ungleichbehandlung gegenüber Gefangenen im offenen Vollzug möchten wir nicht in den Vordergrund rücken, da wir das Problem vor allem sozialpolitisch betrachten. Der durch die fehlende Rentenversicherung entstehende Schaden für die Gefangenen kommt einer Doppelbestrafung gleich. So werden sie nach Absitzen der Haftstrafe durch verminderte oder fehlende Rentenansprüche noch einmal sanktioniert und schlimmstenfalls faktisch zur Altersarmut verurteilt.
Befürchtungen, die Rentenversicherung für Gefangene gefährde die Haushalts-Konsolidierung, sind objektiv nicht stichhaltig, da die Rentenversicherung paritätisch ist. D. h. dass Gefangene ebenso in die Kasse einzahlen wie der Staat. Das alles wusste auch der Gesetzgeber bereits vor rund 40 Jahren.
1976 beschlossen SPD und FDP daher gemeinsam ein Programm, das bis 1986 umgesetzt werden sollte. Dieses Programm enthielt unsere beiden Kernforderungen. Das Vorhaben beschränkte sich nämlich nicht darauf, Gefangene in die Rentenversicherung einzubeziehen. Es sah auch eine schrittweise Anhebung der Eckvergütung auf 40% der Bezugsgröße vor. Monetär entspricht dies in etwa einem monatlichen Nettomindestlohn für einen Vollzeitbeschäftigten. Ihrem Kollegen Gerhard Robbers haben wir diese Rechnung bereits in unserem Schreiben vom 11. Mai 2015 aufgemacht.
Die Einbeziehung Gefangener in die Rentenversicherung stellt für uns aus guten Gründen lediglich eine Minimalforderung dar. Sie wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Doch bei einer aktuellen Eckvergütung von 9% der Bezugsgröße, ist der Beitrag zur Rentenversicherung und der daraus erwachsende Rentenanspruch gering. Die Einbeziehung wird nicht mehr als symbolisch sein, wenn sie nicht von einer signifikanten Erhöhung der Arbeitsvergütung flankiert wird.
Statt der in Aussicht gestellten 40%-Regelung müssen Gefangene sich derzeit mit einer „Anerkennung“ für ihre Arbeit abfinden, die neben der Vergütung eine nicht-monetäre Komponente vorsieht: Sie können für ein Jahr geleistete Arbeit eine 18-tägige Freistellung von der Arbeit beanspruchen und werden für zwei zusammenhängende Monate erbrachter Arbeit auf Antrag für einen Werktag freigestellt (StVollzG, ähnlich in Landesvollzugsgesetzen). Diese „nicht-monetäre Anerkennung“ wird als Gegenwert für die nicht erfolgte weitere Anhebung der Eckvergütung gehandelt. Eine solche Überbewertung kann nur Ausdruck einer Verlegenheit sein, den mangelnden politischen Willen besser zu rechtfertigen. Als Gesetzgeber sollten Sie sich einmal ernsthaft fragen: Würden Sie für eine Anerkennung in Form von 24 Urlaubstagen eine Einbuße Ihres Jahreseinkommens um 77,5% akzeptieren?
Auch der Vorwand, Gefangenenarbeit sei keine vollwertige Arbeit, weil es dabei um Resozialisierung gehe, versagt als Rechtfertigungsversuch.
Erstens betrifft die verminderte Leistungsfähigkeit nur einen Teil der Gefangenen und schlägt sich dann in der Vergütung nieder. Gefangene, die arbeitsfähig sind, aber eine verminderte Leistungsfähigkeit mitbringen, erhalten ein vermindertes Entgelt (Lohnstufe I: 75% der Eckvergütung). Gefangene mit stärker verminderter Leistungsfähigkeit bekommen gar keine Arbeit zugewiesen, sondern kommen ggf. in Arbeitstherapie. Arbeitstherapieplätze sind als solche ausgewiesen. Ein Arbeitsentgelt ist hierfür gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben und wird bestenfalls von der Arbeitsleistung des Gefangenen abhängig gemacht.
Zweitens ist es geradezu widersinnig, Resozialisierung als Argument gegen eine höhere Vergütung anführen zu wollen. Denn gerade wenn es um Resozialisierung geht, ist die Entlohnung ein entscheidender Faktor! Das Prinzip von Arbeit als Mittel zur Resozialisierung beruht auf der Idee, dass Gefangene im Vollzug Arbeit als probates Mittel zum Erwerb des Lebensunterhalts erfahren. Wird die Arbeit jedoch nicht angemessen entlohnt, bleibt eben diese Wirkung aus.
Im Übrigen möchten wir ganz allgemein darauf hinweisen, dass ein Sozialstaat – wenn er sich denn noch als solcher begreift – kein Betrieb ist. Auch nicht, wenn ein Herr Heilmann ihn durch seine Unternehmerbrille so sehen möchte. Daher dürfen hoheitliche Aufgaben nicht einem Rentabilitätsanspruch untergeordnet werden.
Wir hoffen, dass Sie alle sich die Zeit nehmen, unser Schreiben nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Wir stehen als Gefangenen-Gewerkschaft für weitere Diskussionen bereit.
vom Bundesvorstand und dem UnterstützerInnenkreis der GG/BO