Interview mit GG/BO-Sprecher Oliver Rast in der Beilage der „Roten Hilfe“ (RH) in der Tageszeitung „junge Welt“ zum „Tag der politischen Gefangenen“ am 18. März

F: Wie fällt Deine Bilanz des letzten Jahres hinsichtlich der GG/BO-Arbeit aus?

A: Es ist immer schwierig, einen Jahresrückblick gewerkschaftspolitischer und –rechtlicher Aktivitäten in zwei, drei Sätze zu packen. Um es auf eine uneinheitliche Kurzformel zu bringen: Es besteht weder der Anlass, in pure Euphorie auszubrechen, noch der, in Melancholie zu verfallen.
Wir können festhalten, dass die GG/BO nicht nur deutschlandweit in den Haftanstalten angekommen ist, sondern in der interessierten Öffentlichkeit einen festen Platz eingenommen hat. Wir sind zu einem kleinen Faktor der Gewerkschaftsbewegung geworden – und das ist nicht wenig. Es ist den inhaftierten Gewerkschafter_innen und engagierten Gefangenen gelungen, mit sozialpolitischen Themen Gehör zu finden. Das ist keine Belanglosigkeit, wenn so genannte Insassen nicht mit dem Etikett „Kriminelle“ versehen werden, sondern als Menschen, die aus der Haft heraus Forderungen formulieren und deren Umsetzung verlangen.
Gleichzeitig haben wir weiterhin – und in zunehmendem Maße – mit gravierenden organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es ist bereits seit Monaten kaum mehr möglich, unseren Aufbauprozess innerhalb der Haftanstalten durch solidarische Netzwerke außerhalb der Gefängnisse zu flankieren, damit wir zeitnah und kraftvoll Initiativen aus den Knästen aufgreifen und befördern können.

F: Das heißt, dass Ihr Euch aktuell vor allem vor den Knasttoren verstärken müsst?

A: Ja, unbedingt. Es ist aus meiner Sicht derzeit unser größtes Manko, dass wir uns als GG/BO in einer Schieflage bewegen. In den Knästen wollen sich Hunderte Inhaftierte bewegen, aber uns gelingt es nur unzureichend, den Support vor den Knastmauern wirkungsvoll zu organisieren, weil uns letztlich die personellen Kräfte und die strukturellen Voraussetzungen fehlen.
Es ist ein bisschen paradox: die GG/BO wird landauf und landab als Initiative der Selbstorganisierung inhaftierter und nicht inhaftierter Kolleg_innen breit wahrgenommen und mit sehr viel Wohlwollen bedacht. Allerdings fehlt der entscheidende Sprung: die Selbstaktivierung, die konkrete und aktive Unterstützung.
Wir versuchen, über Regionaltreffen von GG/BO-Mitgliedern und GG/BO-Solidarischen unsere Basis draußen deutlich auszubauen, damit unsere Kolleg_innen drinnen die „soziale Schutzmacht“ GG/BO tatsächlich spüren können.

F: Aber während des Hunger- und Bummelstreiks in der JVA Butzbach ward ihr doch im letzten Dezember in aller Munde…

A: Das ist richtig. Die mediale Resonanz verdeckt aber, dass wir alles an Kraft und Struktur mobilisieren mussten, damit der Butzbacher Gefangenenprotest überhaupt zu einem Thema werden konnte. Ohne die Diskussionen und Aktivitäten der Kolleg_innen vom „Netzwerk für die Rechte gefangener Arbeiter_innen“ wären die Gefangenen in der JVA Butzbach und wir als Sprachrohr der eingeknasteten Gewerkschafter_innen allerdings nicht derart stark in die Öffentlichkeit gedrungen.
Wir denken, dass „Butzbach“ eine gewisse Signalfunktion hat: es kann gelingen, dass inhaftierte und nicht inhaftierte Kolleg_innen nicht nur in der Aktion zusammenkommen, sondern auch öffentliche Debatten initiieren und zum Teil sogar prägen können. Möglicherweise war „Butzbach“ eine Art Vorlage für ähnliche Initiativen in anderen Haftanstalten dieser Republik…

F: Auffallend ist, dass Ihr im vergangenen Jahr einen regelrechten Veranstaltungsmarathon absolviert habt. Warum?

A: Wir bewegen uns permanent in einem Hyper-Aktivismus, der mitunter sehr strapaziös ist. Wir haben in den letzten Monate u.a. durch etwa vier Dutzend Veranstaltungen in der BRD und Österreich zahlreiche neue Kontakte herstellen oder vertiefen können. Vor allem in das gesamte Gewerkschaftsspektrum hinein und zu Akteur_innen in sozialen Bewegungen.
Neben der Bekanntmachung der GG/BO-Forderungen und –Kampagnen war das Ziel, dass sich lokal und hierüber regional GG/BO-solidarische Gruppenzusammenhänge bilden, die die Koordination der GG/BO-Arbeit vor Ort übernehmen und einen direkten Draht zu unseren inhaftierten Mitgliedern und vielen, vielen Sympathisant_innen halten. Das ist leider zu selten wirklich eingetreten, deshalb pochen wir auch so stark darauf, die GG/BO zur Sache der gesamten basisgewerkschaftlichen und sozialen Bewegung zu machen…

F: Als GG/BO habt ihr sprichwörtlich Neuland betreten. Österreich. Wie kam es dazu?

A: Da basisgewerkschaftliche Solidarität grenzenlos und unteilbar ist, haben wir uns für den freundlichen Grenzübertritt entschieden. Zugegeben ein ambitioniertes Zusatz-Projekt der GG/BO, was auch von einigen Aktivist_innen kritisch gesehen wird.
Wir stehen in Österreich erst am Anfang, auch wenn sich bereits Soli-Strukturen gebildet haben, Pressearbeit gemacht werden konnte und vor allem die ersten Organisierungsansätze in den Häf´n stattfinden.
Entscheidend ist, dass wir – egal, ob in der BRD oder Österreich – solide Solidaritätsnetzwerke der GG/BO schaffen, damit wir die volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, die uneingeschränkte Koalitionsfreiheit für Inhaftierte von draußen stark machen können. Knäste sind seitens Inhaftierter keine gewerkschaftsfreie Zone mehr – es bewegt sich ´was…

Berlin, 07.03.2016

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