Presseerklärung der Gefangenen-Gewerkschaft / BO
GG/BO fordert die Offenlegung der Abrechnungsmodalitäten zwischen der JVA-Leitung, den Landesbehörden und externen Unternehmen aus der Knastarbeit
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Ton um die sozialreformerischen Forderungen der GG/BO nach einem Mindestlohn und die Einführung einer Rentenversicherung für arbeitende Gefangene wird hörbar schroffer, die Entgegnungen seitens der Justizbehörden zusehends absurder.
Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) übt sich in einem dpa-Artikel, der über Online-Ausgaben von Tageszeitungen am 8. Februar 2015 Verbreitung fand, in einer gewerkschaftsfeindlichen Rhetorik, wenn er die Mindestlohnforderung für die Arbeit von Gefangenen als „sozialpolitischen Nonsens“ abqualifiziert. (vgl. Berliner Zeitung)
Heilmanns Verständnis von Sozialpolitik scheint ausschließlich aus einer kalten Unternehmerlogik gespeist zu sein, die keinerlei Bezugspunkte mehr zur Traditionslinie der christlichen Arbeitnehmerbewegung erkennen lässt. Einer Linie, die zur Gründungsgeschichte der CDU nach 1945 gehört.
Heilmanns Affront dürfte wohl kalkuliert sein, zumal unsere Kernforderungen nach einem Ende der Billiglöhnerei hinter Gittern und für die Einbeziehung der Gefangenen in eine umfassende Sozialversicherungspflicht mehr und mehr Unterstützer_innen insbesondere im breiten Gewerkschaftsspektrum und der Zivilgesellschaft finden.
Der Sprecher der GG/BO, Oliver Rast, merkt hierzu an: “Wir setzen darauf, dass der Zynismus und die Arroganz aus dem Berliner Justizsenat, diwe gegenüber den Inhaftierten über Presseorgane verbreitet werden, zu einem weiteren Solidarisierungseffekt mit der GG/BO führt.“
In einer Radiosendung vom 30.1.15 auf „radio eins“ hat die Sprecherin von Herrn Heilmann, Claudia Engfeld, bereits die Fehlleistung vollbracht, den Hörer_innen Knastarbeit ausschließlich als „beschäftigungstherapeutische Maßnahme“ zu verkaufen, ohne dabei auf die im Strafvollzugsgesetz (StVollzG) in den §§37 bis 52 angeführten graduellen Unterschiede zwischen Beschäftigungs-, Arbeitstherapie und Arbeit hinter Gittern zu verweisen. (vgl radioeins) Fachliche Inkompetenz im Hause Heilmann wäre ein Erklärungsmodell; der Versuch, den Arbeitsertrag der Inhaftierten absichtsvoll klein zu reden, ein weiteres …
Heilmanns laxe Aussage in der besagten dpa-Meldung, dass „[d]ie Beschäftigung von Gefangenen ein vom Steuerzahler quasi voll finanzierter Zuschussbetrieb [ist]“, stellt einen weiteren Fehltritt dar. Inhaftierte produzieren zumindest einen konkret messbaren Mehrwert, was von einem Behördenapparat samt dessen Vorsteher nicht behauptet werden kann. Hier ist in der Tat zu fragen, ob eine Gesellschaft einen solchen Apparat überreichlich bezuschussen will.
Es ist absurd, hinsichtlich des „Kostenfaktors Knast“ eine einseitige 1-zu-1-Umrechnung aufzumachen. Hoheitliche Aufgaben werden insgesamt anteilig von den Staatsbürger_innen über das Steueraufkommen finanziert. Uns ist kein Passus in einem Gesetzeswerk bekannt, der besagt, dass Gefangene für ihre Inhaftierung kostenmäßig (komplett) selbst aufzukommen hätten. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Inhaftierte individuell für die Auszahlung der Gehälter der verbeamteten oder angestellten Bediensteten in den einzelnen JVA´s und für den Nachschub der verschossenen Übungsmunition der anstaltseigenen Schützengarde verantwortlich wären.
Heilmann versucht des Weiteren, Langzeitarbeitslose gegen beschäftigte Inhaftierte auszuspielen. Mit dem kruden Vergleich, dass Erwerbslose keinen Job finden und „Straftäter“ eine Beschäftigung auf einer Mindestlohnbasis einfordern würden, betreibt er eine plumpe Stimmungsmache unter Prekarisierten vor und hinter den Knastmauern. Geflissentlich ignoriert der Justizsenator dabei, dass Gefangene aufgrund des in Berlin geltenden Arbeitszwangs zur Tätigkeit zum faktischen Nulltarif verpflichtet sind. Bei Arbeitsverweigerung drohen den Inhaftierten disziplinarische Maßnahmen, die bis zum Tragen der Haftkosten reichen können.
Heilmann demonstriert völlig ungeniert, wie Gefangene als Segment der industriellen Reservearmee nach Gutdünken für landesspezifische Werbezwecke funktionalisiert werden können: an diesem Donnerstag will er zur Weiberfastnacht im Rahmen eines PR-Auftritts für Berlins Olympiabewerbung Hunderte in der Tegeler JVA-Bäckerei hergestellte Pfannkuchen mit dem Olympia-Logo in der Kreuzberger Marheineke-Markthalle verteilen – kostenlos. (vgl. tagesspiegel.de)
Die Gefangenen haben sich als ehemals lobbylose soziale Gruppe mit der GG/BO ein selbst organisiertes Sprachrohr geschaffen, mit dem sie ihre Stimme erheben. „Als GG/BO haben wir“, so deren Sprecher Rast, „einige konkrete Fragen an den Berliner Justizsenat sowie den Rechtsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus:
- Die Inhaftiertenzahlen in Berlin und im gesamten Bundesgebiet sind seit Jahren rückläufig. Welche Einsparung hat sich für das Land Berlin hieraus ergeben und wohin sind diese eingesparten Gelder haushaltstechnisch geflossen?
- Die gesamte Bestuhlung im Berliner Abgeordnetenhaus wurde in der Tegeler JVA-Polsterei gefertigt. Wie erfolgte die Abrechnung mit der Anstaltsleitung bzw. wo fand die geleistete Arbeit der Inhaftierten im Haushalt ihren Niederschlag?
- Ein Teil der Innenausstattung des Amtszimmers von Justizsenator Heilmann wurde auf Extra-Wunsch in der JVA-Tischlerei gefertigt. Auch hier unsere Frage: Wie erfolgte die Abrechnung mit der Anstaltsleitung bzw. wo fand die geleistete Arbeit der Inhaftierten im Haushalt ihren Niederschlag?
- Der Staat tritt in Gestalt der JVA-Leitung über die sog. Unternehmerbetriebe als Verleiher der menschlichen Arbeitskraft der Inhaftierten auf. Wir fordern die Offenlegung der Verträge, damit der interessierten Öffentlichkeit dargelegt wird, welche Gewinnspannen bspw. die JVA Tegel aus der Gefangenenarbeit erzielt.
- Und zu guter Letzt fordern wir eine Stellungnahme vom Justizsenat hinsichtlich unseres Übernahmeangebots der JVA-Druckerei in Tegel, um die Landeskasse Berlins von einem lt. Haushaltsplan chronisch defizitären Betrieb zu befreien, damit dieser in eine gewerkschaftlich organisierte Unternehmung überführt werden kann.“
„Wir werden dann allerdings,“ so Rast weiter, „ortsübliche Preise für Druckaufträge aus den diversen Landesbehörden aufrufen, damit die systematische Entwertung der Tätigkeit der gefangenen Arbeiter_innen endlich aufhört.“ (vgl. GG / BO unterbreitet Justizsenat Angebot)