Edelstahlgrills, Stühle, Waschbetonplatten – diese und zahlreiche andere Gebrauchsgegenstände wurden von Beamten der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Berlin-Tegel aus den Werkstätten des Gefängnisses abgezweigt und auf eigene Rechnung weiterverkauft. Dies behaupten derzeitige und ehemalige Gefangene sowie die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO). Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin präsentierte die GG/BO die neuesten Entwicklungen in dem Fall rund um ein offenbar weitverzweigtes Schmuggelnetzwerk aus JVA-Bediensteten, Häftlingen und Personen außerhalb der Haftanstalt.
Die Geschichte ins Rollen gebracht hatte der Häftling Timo F. bereits im Januar dieses Jahres. Da er an dem mutmaßlichen Diebstahl von Produkten sowie an dem Schmuggel von Handys, Drogen und anderen Gegenständen in die JVA nicht mehr teilnehmen wollte, wandte er sich an die Anstaltsleitung. Diese zeigte sich nicht an einer Aufklärung der Machenschaften interessiert, weshalb sich Timo F. schließlich entschloss, mit seinen Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Er wandte sich gleichzeitig an das Landeskriminalamt Berlin (LKA) und an einige Medien. In einem detaillierten Fragenkatalog, den er über seinen Anwalt dem LKA zukommen ließ und der junge Welt vorliegt, beschreibt Timo F. die Funktionsweise des Schmuggelnetzwerks. Durch einen Bericht des ZDF-Magazins »Frontal 21« Anfang September gelangten die Informationen schließlich an die Öffentlichkeit. Neben Timo F. sagte der Häftling Benjamin L. in dem TV-Beitrag über das Netzwerk aus.
Seit der Ausstrahlung seien die beiden mit Repressionen konfrontiert, so GG/BO-Sprecher Oliver Rast. Unmittelbar danach wurden ihre Zellen durchsucht. Statt der von Timo F. erwünschten Verlegung in eine andere JVA – er fürchtet Racheaktionen aufgrund seiner Aussagen – gebe es nun Disziplinarmaßnahmen gegen den Zeugen, wie Einschluss sowie Besuchs- und Fernsehverbote. Für die bei der Pressekonferenz am Donnerstag anwesende Lebensgefährtin von Timo F., Lisa St., ist dies ein Skandal. Timo F. habe zur Aufklärung von Missständen beitragen wollen, »die Justiz sollte ihm einen Orden verleihen«, so Lisa St. Statt dessen habe es Drohungen und Verleumdungen gegeben, so dass sie Angst um ihre Familie habe.
Laut dem Anwalt von Timo F., Carsten R. Hoenig, ist das LKA an der Sache dran. Allerdings ermitteln nun Bedienstete des Landes Berlin gegen andere Bedienstete des Landes Berlin sind und werden von weiteren Bediensteten des Landes Berlin beaufsichtigt. Hoenig rechnet damit, dass es noch länger dauern werde, bis erste Ermittlungsergebnisse vorliegen. Das LKA sei eine »gut beschäftigte Behörde«, so der Anwalt gegenüber jW. Es bestehe zudem in der Angelegenheit »kein großer Ermittlungsdruck«. Allerdings haben sich nach den Medienberichten etwa zehn weitere Zeugen bei unterschiedlichen Stellen gemeldet und die Darstellung von Timo F. bestätigt. Dabei handelt es sich sowohl um Gefangene als auch um außenstehende Personen, die von den Schmuggelaktivitäten erfahren haben.
Auch ein bei der Pressekonferenz als Gast anwesender ehemaliger Häftling bestätigte die Existenz eines umfangreichen Ringtauschsystems in der JVA. Timo F. habe mit seinen Aussagen »ins Wespennest gestochen«. Zudem gebe es bereits konkrete Auswirkungen von Timo F.s Weigerung, das illegale Tauschsystem zu stützen. Der Schmuggel von Handys etwa sei eingebrochen. In diesem Jahr seien demnach weitaus weniger Mobiltelefone bei Gefangenen konfisziert worden als in den vorangegangen Jahren.
Die GG/BO bezeichnet die Vorgänge in der JVA Tegel als »Klau- und Schmuggelwirtschaft«. Die Ausbeutung von Gefangenen sei aber an sich ein Skandal, so GG/BO-Sprecher Oliver Rast. Seine Organisation sei angetreten, »die soziale Frage hinter Gittern zu stellen«. Dort herrschen »vorwilhelminische Arbeitsbedingungen«, so Rast. Es gebe keinen Mindestlohn, keinen arbeitsrechtlichen Schutz, und mit Hilfe der Gefangenen werde Lohndumping betrieben, das vielen Unternehmen zugute komme.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2016/10-15/015.php
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