Vom Tegeler „Erfolgsmodell“ zum „Exportschlager“?!
Die vielen Rückmeldungen von Inhaftierten in der JVA Tegel, aber auch die Resonanzen, die in verschiedenen Tageszeitungen wahrzunehmen waren, haben uns positiv überrascht. Hervorzuheben ist beispielsweise ein Artikel in der renommierten englischen Tageszeitung The Guardian vom 30. Mai d. J., in dem über unsere Initiative der Gründung der Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel wohlwollend berichtet wird. Wir haben aber auch Solidaritätsschreiben vom Komitee für Grundrechte und Demokratie und Basisgewerkschaften (wie z.B. der FAU) erhalten. In den kommenden Tagen werden weitere Presseartikel erscheinen. Interviewanfragen von Journalisten sind eingegangen und werden bearbeitet…
Wie erfolgt die Gewerkschaftsgründung?
Wir haben den Eindruck, dass mit der Gründung der Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel, die ein sogenannter nicht-rechtsfähiger Verein nach BGB §§ 21 i.V.m. 54 ist, ein Modell gefunden wurde, mit dem man als beschäftigte Inhaftierte auch innerhalb von Haftanstalten wirken kann.
Im Gegensatz zum eingetragenen Verein (e.V.) braucht es für einen nicht-rechtsfähigen Verein keine sieben Gründungsmitglieder und keine notariell beglaubigte Satzung. Es reichen zwei Gründungsmitglieder, die sich auf die Grundsätze und Zielsetzungen des Vereins (mündlich) verständigten. Der Verein braucht nicht ins Vereinsregister eingetragen zu werden. Übrigens sind Gewerkschaften in der Regel nicht-rechtsfähige Vereine. Wir stützen uns hinsichtlich der Gewerkschaftsgründung des Weiteren auf unser Grundrecht, Interessenvereinigungen zu bilden, wie es der Grundgesetz-Artikel, Abs. 3 (Koalitionsrecht) vorsieht. Die Vereinsgründung auf der von uns vorgenommenen Basis ist juristisch einwandfrei und abgesichert. Sie erfolgt bewusst nicht im Rahmen der sogenannten Gefangenenmitverantwortung (§ 160 StVollzG), da das Strafvollzugsgesetz den Insassenvertretungen diverse Fesseln in Sachen Betätigungsfreiheit anlegt. Trotz der Schwungkraft, die wir momentan spüren, ist auf die Euphorie-Bremse zu treten. Der Anfang mit unserer Gründung der Inhaftierten-Gewerkschaft ist getan – das ist viel, reicht aber längst nicht aus. In einem nächsten Schritt geht es um eine Stabilisierung und Ausweitung unseres Projekts.
Auf welchen Prinzipien gründet die Gewerkschaft?
Eine Gewerkschaft gründet im Wesentlichen auf drei Prinzipien. Das Prinzip der Autonomie (Eigenständigkeit, Unabhängigkeit) besagt, dass wir überparteilich und überkonfessionell sind. D.h. wir lassen uns beispielsweise weder parteipolitisch noch von der Glaubensrichtung her einzwängen. Wir stehen sozusagen über den Dingen.
Das Reform-Prinzip beinhaltet, dass wir Veränderungen und Umgestaltungen anstreben, die zu einer Verbesserung der Situation der arbeitenden Gefangenen führen sollen. Hierbei geht es aktuell in erster Linie um die Fragen des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns für beschäftigte Inhaftierte und eine soziale Absicherung durch eine Rentenversicherung. Das sind unsere beiden Kernthemen.
Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass sich die Arbeitsbedingungen in den JVA-Betrieben im Interesse der dort tätigen Gefangenen verbessern.
Und nicht zu Letzt orientieren Gewerkschaften auf das Prinzip der Solidargemeinschaft (Zusammengehörigkeit, Gemeinschaftssinn). Auch wenn Inhaftierte aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit höchst unterschiedlich sind, können sie an ausgewählten Punkten gemeinsame Interessen benennen und ausdrücken. Hierüber lässt sich ein Gefühl von Einheit und Genossenschaft entwickeln, was uns alle hier im Knast stärkt.
Auf dem Weg zu einer bundesweiten Knast-Gewerkschaft?
Unser Ziel ist es, dass wir dieses Modell einer Gefangenen-Gewerkschaft nicht nur in Berliner Haftanstalten etablieren, sondern bundesweit ausdehnen.
Der Tegeler Versuchsballon ist in der Luft und wir haben die Vorstellung, dass Gewerkschaftsgründungen in allen Knästen folgen werden. Im Ergebnis schaffen wir damit ein vereintes Organisationsnetzwerk der Gefangenen-Gewerkschaft in der Bundesrepublik. Nehmt hierzu mit uns Kontakt auf.
In der Perspektive wollen wir demzufolge, dass Knäste seitens der Gefangenen keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind. Vielleicht können wir in ein paar Jahren mit Genugtuung feststellen, dass die bundesweite Knast-Gewerkschaft eine Selbstverständlichkeit ist; eine Normalität, über die gar nicht mehr debattiert werden muss.
Wichtig ist, dass die Ziele, die man sich als Gefangenen-Gewerkschaft steckt, vor allem in der Anfangszeit überschaubar bleiben. Man braucht sogenannte thematische Aufhänger. Insbesondere sind Themen zu finden, mit denen alle Inhaftierten etwas anfangen können. Wir glauben, dass das uns fürs Erste mit unseren Forderungen nach einem Mindestlohn und einer Rentenversicherung gelungen ist.
Aber nochmals: Für ein solches (bundesweites) Projekt, was über Jahre angelegt sein wird, brauchen wir innerhalb und außerhalb der Haftanstalten Eure konkrete und aktive Unterstützung. Wenn wir uns gegenseitig den Rücken stärken, uns miteinander in Verbindung setzen, schaffen wir uns die Voraussetzung, dass das Tegeler „Erfolgsmodell“ tatsächlich zu einem „Exportschlager“ wird …
Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel – Anfang Juni 2014