Leitung der JVA Tegel lässt Zellen der Gewerkschaftsinitiatoren durchsuchen
in: express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 06/2014
Ende Mai haben Insassen der JVA Berlin-Tegel die Gründung einer Gefangenen-Gewerkschaft bekannt gegeben. Die Leitung der Anstalt reagierte mit einer Durchsuchung der Zellen zweier Sprecher und ließ alle Unterlagen beschlagnahmen, die mit der Gewerkschaftsinitiative in Zusammenhang stehen. Der geht es um altbekannte Probleme.
In ihrer Gründungserklärung nennen die Aktivisten zwei Forderungen, für die sie mit ihrer Organisation eintreten wollen: die Einbeziehung der Gefangenen in den kommenden gesetzlichen Mindestlohn und die Aufnahme in die gesetzliche Rentenversicherung. Der letzte Punkt steht nicht nur seit Langem auf der Agenda unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen, er sollte sogar bereits seit 1977 im Strafvollzugsgesetz stehen. Dies ist von der Bundesregierung beschlossen worden, hätte aber durch ein Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden müssen. Ein solches ist nie erlassen worden.
So fährt der Gesetzgeber eine perfide Doppelstrategie: Einerseits stimmt er der Argumentation zu, dass es nicht mit dem Resozialisierungsgedanken zu vereinbaren ist, Gefangene in ein Leben in (Alters-)Armut zu entlassen. Andererseits verweist der Bund – zuletzt anlässlich einer Anfrage der Fraktion „Die LINKE“ im Dezember 2008 – auf „finanzielle Vorbehalte der Länder“ und unterlässt die nötigen Schritte (s. express 4/2010). Die Bundesländer sind es, die die Kosten einer Sozialversicherung für Gefangene zu tragen hätten. Eine Petition an den Bundestag im Jahr 2011, die erneut zur Umsetzung des jahrzehntealten Vorhabens auffordert, ist bislang ohne nennenswerte Konsequenzen geblieben.
Strafgefangene sind in Deutschland grundsätzlich zur Arbeit verpflichtet. Entlohnt werden sie eher mit einem Taschengeld. Im bundesweit gültigen Strafvollzugsgesetz waren neun Prozent des durchschnittlichen Lohnes aller gesetzlich Rentenversicherten als Bezahlung festgelegt. Mit der Föderalismusreform 2011 ist die entsprechende Regelungskompetenz an die Länder übergegangen. Nach Einschätzung von Christian Herrgesell, dem Gefangenenbeauftragten des Komitees für Grundrechte und Demokratie, kommt es seither zu geringfügigen Abweichungen von diesem Satz, aber keinesfalls zu nennenswerten Anhebungen der Gefangenenentlohnung.
Trotz Zwang und Niedriglohn mache er aber in seinen Gesprächen mit Inhaftierten häufig die Erfahrung, dass diese sich über zu wenige Arbeitsmöglichkeiten in ihrer Anstalt beklagten, schließlich böten die Gefängnisbetriebe nicht nur etwas Abwechslung im monotonen Alltag, sondern seien auch Orte des sozialen Miteinanders. „Aus diesem Blickwinkel können wir von einer Arbeitslosigkeit von 30 bis 40 Prozent sprechen“, so Herrgesell. „In der U-Haft gibt es keine Arbeitspflicht, aber dann eben auch keine Möglichkeiten zu freiwilliger Arbeit. So kommt es häufig vor, dass Gefangene 23 Stunden am Tag in der Zelle verbringen müssen.“ Im Regelvollzug dagegen unterliegen auch Gefangene der Arbeitspflicht, die – wie einer der Initiatoren der Tegeler Gewerkschaft – ein Fernstudium absolvieren und dies dann neben einem Vollzeitarbeitstag bewältigen müssen.
Zugleich sei ein Strukturwandel der Gefängnisarbeit zu erkennen: Größere Einheiten wie Wäschereien oder Küchen, die auch als Raum der politischen Verständigung und Artikulation der Gefängnisinsassen fungiert hätten, würden zunehmend an private Dienstleister vergeben. „Damit schwinden auch wichtige Möglichkeiten, Kontakt zu anderen Gefangenen in der ganzen Anstalt aufzunehmen. Die Zahl der Mithäftlinge, mit denen die Gefangenen in Berührung kommen, wird immer kleiner“, kritisiert Herrgesell.
Gleichzeitig versuchen Gefängnisse zunehmend, mit der besonders günstigen Arbeitskraft einen Wettbewerbsvorsprung auf dem freien Markt auszunutzen. So offenbar auch die JVA Tegel. Der jüngste Betrieb, der auf der Homepage beworben wird, ist ein 2011 eingerichteter Sortier- und Montagebetrieb, über den es heißt: „Gerade da, wo lohnintensive Handarbeit gefordert wird, bieten wir Ihnen im Rahmen einer Zusammenarbeit nicht unerhebliche Kostenvorteile.“
Die Durchsuchung der Zellen von Oliver Rast und Attila-Aziz Genc, die als Sprecher der Tegeler Gewerkschaft in Erscheinung getreten sind, bewerten das Grundrechtekomitee und der Rechtsanwalt von Rast, Sven Lindemann, als einen Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit. Bei der Maßnahme wurden alle Dokumente beschlagnahmt, die mit der Gewerkschaftsinitiative in Zusammenhang stehen. Die Anstaltsleitung begründet ihr Vorgehen mit einem Regelverstoß der Kollegen: Alle politischen Handlungen seien mit der Leitung abzusprechen, damit es nicht zu „Aufwiegelung“ komme. Gegen eine Gewerkschaft habe man nichts (taz, 29. Mai 2014).
In ihrer Gründungserklärung appellieren die Kollegen nicht zuletzt an die Solidarität von GewerkschaftlerInnen außerhalb der Gefängnismauern: „Wir erhoffen uns, dass wir von DGB-Einzelgewerkschaften (ver.di, IG Metall) und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen (IWW, FAU) konkrete Unterstützung erfahren, damit die Knäste für die Inhaftierten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.“
StS