Gefängnisindustrie – Im Profitcenter Knast

In Europa werden immer mehr Gefängnisse von Privatunternehmen betrieben. Aber auch an staatlichen Justizvollzugsanstalten verdienen multinationale Konzerne kräftig mit.

Von Merièm Strupler (Text) und Ursula Häne (Fotos), Bremervörde

Hinter den Glasscheiben falten 43 Inhaftierte zwischen 15 000 und 20 000 Broschüren am Tag – für Versicherungen und Banken wie die Sparkasse. Die Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremervörde arbeiten mitten in Deutschland und doch in einer eingeschlossenen Welt – unter permanenter Beobachtung durch das Anstaltspersonal. Sechseinhalb Meter hohe Stahlbetonmauern umzäunen das Gefängnis wie eine Festung. Oben an der Mauer ist Stacheldraht befestigt. Sollte einer der Inhaftierten versuchen auszubrechen und dabei den Stacheldraht berühren, wird ein Alarm ausgelöst.

Ausserhalb der Mauern liegt die Provinzstadt Bremervörde in Niedersachsen, mit dem Auto nur eine Stunde von der Nordsee entfernt. Die Welt innerhalb der Mauern besteht aus zwei Gebäudeblöcken, in denen 270 männliche Gefangene eingesperrt sind. Jede Etage gleicht exakt der anderen, einzig die Farben der Wände unterscheiden sich. Block A ist grün, Haus B gelb, die Räumlichkeiten der medizinischen Versorgung sind petrolblau. Durch die Gitterstäbe ist der Himmel zu sehen. Er ist an diesem Tag über der JVA Bremervörde genauso grau wie die Gefängnismauern selbst. Schlüssel klimpern. Irgendwo fällt eine Tür ins Schloss.

«Die Gefangenen haben keine Lobby»

9 bis 15 Euro verdienen die Gefangenen am Tag – also maximal 1,87 Euro pro Stunde. In der JVA Bremervörde herrscht – wie in den meisten deutschen Gefängnissen – Arbeitspflicht. Bundesweit sitzen rund 66 000 Menschen hinter Gittern, 41 000 davon arbeiten auch dort. Verweigert ein Häftling die Arbeit, droht ihm Einschluss – 23 Stunden in einer Neun-Quadratmeter-Zelle.

«Das ist de facto ein Grosskonzern», sagt Oliver Rast, «mit staatlich gefördertem Lohndumping.» Er ist Sprecher der 2014 gegründeten bundesweiten Gefangenengewerkschaft GG/BO. In Deutschland ist ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde vorgeschrieben, die Gewerkschaft fordert, die Untergrenze auch für Gefangene einzuführen. Mit Hunger- und Bummelstreiks will sich die GG/BO ausserhalb der Gefängnismauern Gehör verschaffen: «Die Gefangenen haben keine Lobby, deshalb haben wir uns selber eine geschaffen», sagt der 42-jährige Rast. Er selbst sass für drei Jahre und sechs Monate wegen versuchter Brandstiftung und der Gründung einer kriminellen Vereinigung in Berlin im Gefängnis. Rast soll Mitglied einer linksradikalen Untergrundgruppe gewesen sein, die sich zu Brandanschlägen auf Bundeswehrpanzer bekannt hatte.

Der Gefangenengewerkschaft haben sich inzwischen deutschlandweit rund 850 Mitglieder angeschlossen. Seit kurzem kamen erstmals Mitglieder in einer österreichischen Haftanstalt dazu. Neben dem Mindestlohn setzt sich die GG/BO auch für eine Rentenversicherung für Inhaftierte ein – da diese während ihrer Haftzeit nicht in die Rentenkasse einzahlen, haben sie im Alter weniger Rentenanspruch. Nach einem langjährigen Gefängnisaufenthalt rutschen viele deshalb direkt in die Altersarmut.

Arbeit im Gefängnis sei kein gewöhnliches Arbeitsverhältnis, heisst es hingegen seitens der Politik und der etablierten Gewerkschaften. Das sieht auch die stellvertretende Anstaltsleiterin Nicola Wimmers in Bremervörde so. «Die Arbeitsbeschäftigung dient der Resozialisierung der Gefangenen», meint sie. Sie solle auf das Leben nach der Haft vorbereiten, ihnen einen strukturierten Tagesablauf beibringen.

Auch Andreas Schenker ist in Bremervörde inhaftiert. Seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen – er befürchtet unangenehme Folgen wie etwa häufigere Zellenkontrollen. «Resozialisierung ist denen scheissegal», sagt er über die Gefängnisleitung. «Man versucht, uns hier kaputtzumachen. Wenn die Leute rauskommen, brauchen sie eine Therapie.» Auch Gewerkschafter Rast zweifelt an der Begründung von Wimmers: Er habe im Gefängnis niemanden kennengelernt, der «besser rausging» – im Gegenteil: «Die Leute werden gebrochen», sagt er.

Vergleichende Zahlen zur Resozialisierung gibt es kaum. ExpertInnen gehen allerdings davon aus, dass in der Bundesrepublik fast jede zweite inhaftierte Person nach ihrer Entlassung wieder rückfällig wird.

«Akkordarbeit und Pensumvorgaben»

In Deutschland profitieren vor allem Konzerne wie Siemens, Mercedes Benz und BMW von der Billiglohnzone Gefängnis. Die Autohersteller lassen in den Haftanstalten Kleinteile montieren, genauso der Gartengerätehersteller Gardena und der Haushaltsgerätehersteller Miele. Auch die staatlichen Behörden nutzen die Arbeitskraft der Gefangenen: Gemäss Recherchen des «Spiegels» nähen die Inhaftierten Richterroben und schweissen die Gitterstäbe der Fenster. Laut der «taz» schreinern die Gefangenen der JVA Tegel die Büroeinrichtung des Berliner Justizsenators Thomas Heilmann und die Stühle des Berliner Abgeordnetenhauses.

Und nicht nur in Deutschland produzieren, verpacken und montieren Inhaftierte für private Firmen: In französischen Gefängnissen lassen namhafte Unternehmen wie der Rüstungskonzern EADS, die Kosmetikhersteller L’Oréal und Yves Rocher und der weltweit grösste Hersteller von Kugelschreibern Bic produzieren, wie Recherchen der französischen Tageszeitung «Le Monde» zeigen. Die Firmen sparen sich die Transportkosten in Billiglohnländer und können dennoch zu ähnlich prekären Konditionen produzieren lassen.

Die «Sonderwirtschaftszone Knast» werde besonders in Deutschlands halbprivaten Gefängnissen perfektioniert, sagt Rast. Dort herrschten «Akkordarbeit und Pensumvorgaben», so der Gefangenengewerkschafter.

Hauptverantwortung liegt beim Staat

Ein teilprivatisiertes Gefängnis ist auch die JVA Bremervörde – das erste in Niedersachsen und auch das modernste. Aufgebaut ist die Haftanstalt als öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP), bei der Staat und Wirtschaft als sogenannte Zweckgesellschaft zusammenarbeiten. Seit Januar 2013 in Betrieb, wurde der ÖPP-Vertrag für 25 Jahre abgeschlossen – bis 2037 also.

In Deutschland verbietet das Grundgesetz die komplette Privatisierung von Haftanstalten – mittels einer ÖPP kann dies aber umgangen werden. So werden in Bremervörde einzelne Aufgabenbereiche jeweils an private Firmen übergeben. Das Bauunternehmen BAM hat die JVA Bremervörde errichtet und unterhält seitdem verschiedene Leistungen des Gefängnisses, unter anderem die Arbeitsbeschäftigung der Gefangenen: Der Staat verkauft dem Konzern die Arbeitskraft der Inhaftierten und bezahlt damit zugleich den Gefangenen ihren Lohn. Damit glichen sich die Kosten gegenseitig wieder aus, erklärt die stellvertretende Anstaltsleiterin Wimmers.

Neben BAM übernimmt die Firma Hectas gewisse Leistungen in der JVA, wie die Reinigung der Gebäude und den Unterhalt der Wäschekammer. Das Dienstleistungsunternehmen Dussmann kümmert sich um die Verpflegung und die medizinische Versorgung der Gefangenen – zu Letzterem gehört auch die psychologische Betreuung, um beispielsweise abzuklären, ob jemand suizidal ist. Nur die Gefangenen einschliessen, das dürfen die Privaten nicht – das und damit letztlich die Hauptverantwortung für die Sicherheit beansprucht der Staat weiterhin für sich.

In Deutschland werden immer mehr Gefängnisse teilprivatisiert: Neben Niedersachsen betreiben in Deutschland bereits die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt derartige Strafanstalten. Und die Gefängnisprivatisierung ist in ganz Europa auf dem Vormarsch: 1992 begann Britannien damit, Gefängnisse an private Unternehmen zu verkaufen, dann folgte Frankreich. Ganz nach dem Vorbild der USA, wo 1984 das erste Gefängnis weltweit privatisiert wurde. Inzwischen sitzen dort etwa 140 000 Gefangene in mehr als 120 privaten Anstalten. In den USA werden mehr Menschen eingesperrt als in jeder anderen Nation – rund jede 100. erwachsene Person sitzt dort im Gefängnis.

Schlagen, würgen, schikanieren

Von dieser Entwicklung profitieren eine Handvoll «Global Players»: In den USA haben die Unternehmen Corrections Corporation of America und GEO Group ihre Gewinne in den letzten zwanzig Jahren verfünffacht. Ein Teil des Geldes geht für Lobbyismus drauf, die drei grössten Unternehmen gaben in den letzten zehn Jahren über 45 Millionen Dollar dafür aus. Sie berieten und beeinflussten PolitikerInnen – und sorgten dafür, dass nach wie vor genug Menschen in den Gefängnissen sitzen (siehe WOZ Nr. 11/2015).

In Britannien betreiben die Konzerne G4S und Serco die meisten Gefängnisse. Beide standen schon mehrfach öffentlich in der Kritik – besonders G4S. Als weltweit grösster Sicherheitsdienstleister soll G4S in zahlreiche Menschenrechtsverletzungen involviert sein. Die Liste der Vorwürfe gegen den Konzern ist lang: G4S betreibe etwa Foltergefängnisse in Israel und Südafrika, heisst es seitens der britischen Stop-G4S-AktivistInnengruppe. 2013 war G4S für den Negativpreis Public Eye Award nominiert – als schlimmster Konzern des Jahres. Erst Mitte Januar berichtete der Fernsehsender BBC über Misshandlungen in einem britischen Jugendgefängnis, das von G4S betrieben wird. Die heimlich gefilmten Szenen zeigen, wie G4S-Gefängnisbeamte die zwölf- bis siebzehnjährigen Insassen schlagen, würgen, bedrohen und schikanieren. Nach der Enthüllung hat G4S vier der Gefängnisangestellten entlassen.

Auch Konzerne, die auf die Verwaltung von Gebäuden spezialisiert sind, profitieren vom Geschäft mit der Bestrafung: Die globale Gefängnispopulation nahm innerhalb der letzten zehn Jahren zu, wie eine Studie des Londoner Internationalen Zentrums für Gefängnisstudien (ICPS) zeigt. Weltweit sitzen 10,2 Millionen Menschen im Gefängnis.

Für viele Unternehmen ist das Geschäft mit dem Gefängnis aber meist nur eine Geldquelle von vielen – so auch für BAM, den Hauptbetreiber der JVA Bremervörde. BAM ist der deutsche Ableger der Firma Royal BAM Group, des grössten niederländischen Bauunternehmens, weltweit tätig, mit einem Umsatz von rund acht Milliarden Euro pro Jahr. So baute das Unternehmen auch schon eine Ölplattform in Singapur, zahlreiche Luxushotels in Abu Dhabi und Dubai, eine Autobahn in Tansania und eine Brücke in Virginia (USA).

«Uns glaubt hier niemand»

Für Insasse Andreas Schenker sind die Bedingungen in der JVA Bremervörde nur schwer zu ertragen. «Die machen mit uns hier drin, was sie wollen», sagt er. Es herrsche eine enorm angespannte Stimmung in der JVA, besonders im Vergleich zu den anderen zwei, drei staatlichen Gefängnissen, die er von innen gesehen habe. Gerade die privaten AufseherInnen würden mehr provozieren und schikanieren. «Die machen viel mehr einen auf dicke Hose, müssen zeigen, wer hier das Sagen hat.» Manche seien so unzufrieden und gereizt, dass sie plötzlich wegen Kleinigkeiten ausrasteten. «Aber sich beschweren, das bringt nichts», sagt Schenker. «Uns glaubt hier niemand.»

Viele der Gefangenen hätten Angst davor, Kritik zu äussern. Angst, deswegen nicht nach zwei Dritteln der Haftzeit vorzeitig entlassen zu werden – denn dies geschieht nur bei guter Führung. Beschwerden werden zuerst der internen Anstaltsleitung übermittelt, die wiederum auch das Verhalten der Gefangenen für die vorzeitige Entlassung beurteilt. Schenker fühlt sich ausgeliefert und ohnmächtig, dennoch will er sich nicht alles gefallen lassen. «Wir sind ja auch Menschen», sagt er. Und: «Ich erzähle das, weil ich den Jungs hier helfen möchte.»

Studien dazu gibt es vor allem zu den privatisierten Gefängnissen in den USA: Diese bestätigen, dass das Essen, die medizinische Versorgung, die Bezahlung der Gefangenenarbeit und die Betreuung durch das Gefängnispersonal in den privatisierten Einrichtungen schlechter sind als in den staatlichen. Auf die Aussagen von Schenker angesprochen, weist die stellvertretende Anstaltsleiterin Wimmers die Vorwürfe zurück. Und auch von einer angespannten Stimmung will sie nichts wissen.

Andreas Schenker und die anderen Gefangenen arbeiten derweil bis zum Tag ihrer Entlassung hinter den Glasscheiben der JVA Bremervörde. Einige von ihnen falten Tag für Tag Broschüren. Die Sparkasse hat bestätigt, dass sie Broschüren aus der JVA Bremervörde bezieht. Über Umfang und Konditionen will die Bank aber keine Angaben machen. Wer hinter den grauen Gefängnismauern produzieren lässt, behält dies oftmals lieber für sich. Ob in staatlichen oder halbprivatisierten Händen: Die Gefängnisindustrie verdient höchst diskret an der Bestrafung.

Arbeit hinter Gittern

Schweizer Gefängnisse, Schweizer Geld

In der Schweiz sitzen mehr als 7000 Menschen im Gefängnis – genau wie in Deutschland herrscht für sie Arbeitspflicht. Pro Tag verdienen die Gefangenen zwischen zwanzig und dreissig Franken. Für Inhaftierte gibt es kein offizielles Rentenalter, sie müssen so lange arbeiten, wie es ihr Gesundheitszustand erlaubt. Auch hierzulande lassen namhafte Firmen einige Arbeiten im Gefängnis verrichten, zum Beispiel die Supermärkte Coop, Migros, Landi und Jumbo. So wird das Suppengemüse der Migros im Landwirtschaftsbetrieb der JVA Lenzburg angebaut, andere Pflanzen in der Strafanstalt Luzern – man arbeite schon lange zusammen, heisst es bei der Migros auf Anfrage.

Auch im Technikbereich werden viele Arbeiten in Gefängnissen verrichtet. Siemens lässt von Gefangenen seine technischen Geräte wiederaufbereiten. Und der Mobilfunknetzbetreiber Salt beteiligte sich 2012, damals noch unter dem Namen Orange, an einem Pilotprojekt in Schweizer Gefängnissen. Zu diesem Projekt will sich der Konzern nicht äussern. Sunrise wiederum arbeitet über eine Partnerfirma mit einer JVA zusammen.

Der Werkzeughersteller Hilti lässt in der Strafanstalt Saxerriet im Kanton St. Gallen Schraubanker verpacken. Das Gefängnis biete «wettbewerbsfähige Preise» im Marktdurchschnitt, heisst es bei der Medienstelle. Zum genauen Umfang der Verträge wolle man jedoch keine Angaben machen. Und auch über weitere Details wollen alle genannten Unternehmen keine Auskunft geben – die Gefängnisindustrie produziert auch in der Schweiz diskret und anonym.

Schweizer Gefängnisse zu privatisieren, hat derweil zuletzt der Luzerner SVP-Kantonsrat Armin Hartmann gefordert: «Private können viele Dienstleistungen effizienter anbieten – wir sollten diesen Schritt prüfen», sagt er gegenüber der Gratiszeitung «20 Minuten».

Gefängnisdirektor Marcel Ruf von der Justizvollzugsanstalt Lenzburg kann sich dies hingegen nicht vorstellen: «Den Beweis, dass private Gefängnisse in Europa günstiger sind, konnte bis jetzt noch niemand erbringen», so Ruf.

Merièm Strupler

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Leipzig, 10. März 2016

 

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