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In deutschen Gefängnissen arbeiten Häftlinge für ein paar Euro am Tag. Jetzt fordern sie den Mindestlohn und haben sich zu einer Gewerkschaft zusammengeschlossen.
Von Frank Brunner
Wer den früheren Bankräuber bei der Arbeit besuchen will, muss am Eingang Ausweis und Handy abgeben, eine Sicherheitsschleuse durchlaufen, Stahltüren passieren, vorbei an meterhohen Mauern und bewaffneten Wärtern. Am Ende wartet der 59-Jährige mit einem Stapel Schaumstoff. Einst hatte er mit Komplizen ein paar Tausend Euro geraubt, nach mehrstündiger Flucht stoppte ihn das SEK.
Seit Jahren arbeitet er nun in der Polsterei der Berliner Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel. Er schmirgelt an Stühlen, schneidet und näht Stoffe. Gerade polstert er Sessel für das Abgeordnetenhaus auf. Vollzeit. Für 240 Euro im Monat. „Das ist ungerecht“, sagt er. Darum ist er jetzt in der Gewerkschaft. Der Gefangenengewerkschaft. Bundesweit haben sich Häftlinge zusammengetan. Sie fordern: Mindestlohn auch hinter Gittern!
„Das gleicht einer Doppelbestrafung“
„Wenn Arbeit der Resozialisierung dienen soll, müssen die Gefangenen spüren, dass sie sich lohnt“, sagt der Sprecher der Gewerkschaft, Oliver Rast. Auch er saß im Knast, verurteilt als Mitglied einer linksradikalen Gruppe wegen Anschlägen auf staatliche Einrichtungen; erst seit ein paar Monaten ist er frei. Der niedrige Lohn sei ein Skandal, sagt er. Zudem drohe den Häftlingen Altersarmut, weil sie nicht in die Rentenkasse einzahlen dürften.
Das gleiche einer „Doppelbestrafung“, weil die niedrigen Rentenansprüche erst nach Ende der Haftstrafe spürbar seien. Etwa 62000 Menschen leben in Deutschland hinter Gittern, rund 41000 von ihnen arbeiten. Sie putzen Büros, jobben in der Gefängniswäscherei oder der Küche. Oder sie arbeiten in sogenannten Unternehmerbetrieben, im Auftrag der freien Wirtschaft.
Arbeit für BMW, Audi und Mercedes
Zwischen 9 und 15 Euro erhalten sie dafür – am Tag. Die Knastarbeit floriert. Rund 1,76 Millionen Euro Umsatz machten die JVA Tegel und die weiteren Berliner Haftanstalten 2014 mit Auftragsarbeiten für Unternehmen. Dazu kommt ein Auftragsvolumen von 4,3 Millionen Euro für Schulen und Behörden. Und auch in anderen Bundesländern geht es um Millionen.
„Die Gefangenen arbeiten unter anderem für Automobilzulieferer und die Verpackungsindustrie“, sagt die stellvertretende Leiterin der JVA Frankenthal in Rheinland-Pfalz, Gundi Bäßler. 260 Arbeitsplätze gibt es dort, die meisten in jenen Unternehmerbetrieben. Ein Autozulieferer zum Beispiel lässt Drahtbügeltaschen für Gitterboxen produzieren, die laut Betriebsleiter von BMW, Audi und Mercedes verwendet werden.
Es geht nicht ums Geldverdienen
Der Vorteil für die Firmen liege vor allem darin, dass sie auf Auftragsschwankungen flexibel reagieren könnten, sagt Bäßler. Sie könnten Auftragsspitzen ganz einfach mit Gefangenen abfedern. „Die Unternehmen zahlen dabei meist den Tariflohn, von dem aber nur ein Teil an die Häftlinge weitergereicht wird.“ Das zentrale Argument dafür: Es geht um die Resozialisierung, nicht ums Geldverdienen. Ob das gerecht ist, ist unter den Justizministern der Länder umstritten.
Nur Brandenburg schließt ihn nicht grundsätzlich aus. Minister Helmuth Markov (Die Linke) würde ihn aber an Bedingungen knüpfen. So sollten sich Häftlinge an Haftkosten beteiligen und Opfer entschädigen. Die übrigen Justizminister argumentieren, dass Gefangene keine regulären Arbeitnehmer seien, zudem sei die Produktivität deutlich niedriger als außerhalb der Knastmauern.
Sinnvoll, aber zu teuer
Viele Gefangene haben keinen Schulabschluss, einige müssen sogar lernen, morgens aufzustehen. In der Frage der Sozial- und Rentenabgaben dagegen wollen die Justizminister eine Arbeitsgruppe einrichten. „Auch Gefangene sollten die Möglichkeit bekommen, für das Alter vorzusorgen“, sagt Uta-Maria Kuder, CDU-Ministerin von Mecklenburg-Vorpommern.
Aus Bayern heißt es dagegen: Zwar gebe es „gute vollzugliche Argumente für einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz“, aber die „Einführung staatlicher Leistungen muss sich immer auch an den übergeordneten Zielen der Haushaltskonsolidierung messen lassen“. Im Klartext: sinnvoll, aber zu teuer. Und der frühere Bankräuber in Tegel? Der hat in der Polsterei seinen Facharbeiter gemacht. Nun will er Gerechtigkeit. „Wir wollen nichts geschenkt haben“, sagt er, „aber wir wollen unsere Schulden bezahlen, unsere Angehörigen unterstützen und draußen wieder auf die Beine kommen.“