Neues Deutschland | 30.05.2014
Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Tegel fordern einen Mindestlohn für Inhaftierte und eine Rentenversicherung
von Peter Nowak
»Gefangene haben bisher keine Lobby. Die schaffen wir uns mit der Gefangenengewerkschaft nun selber«, erklärte Oliver Rast in der Presseerklärung zur Gründung der Gefangenengewerkschaft in der JVA Tegel. Rast war wegen Mitgliedschaft in der linksautonomen militanten gruppe (mg) zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Gemeinsam mit einer Gruppe Gefangener hat er die Gewerkschaftsgründung seit Monaten vorbereitet. Mit der Struktur eines nichtrechtsfähigen Vereins soll der Bestand der Gewerkschaft längerfristig gesichert werden, betont Rast. In der Vergangenheit waren kurzfristige Gewerkschaftsgründungen meist schnell beendet, wenn die Gründer das Gefängnis verließen. Aus diesen Erfahrungen haben die jüngsten Gewerkschaftsgründer gelernt. Den Versuch, so viele Gefangene wie möglich mit einzubeziehen, sieht Rast als erfolgreich an.
Die Gründungserklärung der Knastgewerkschaft sei von zahlreichen Gefängnisinsassen in Tegel unterzeichnet worden. Zu der Unterstützung dürfte beigetragen haben, dass sich die neue Gewerkschaft auf zwei zentrale Forderungen konzentriert: einen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde und eine Rentenversicherung für Gefängnisinsassen. Diese Forderungen werden auch von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen außerhalb der Gefängnismauern unterstützt. Damit soll verhindert werden, dass Häftlinge nach einem längeren Gefängnisaufenthalt mittellos und ohne soziale Absicherung entlassen werden.
Doch wie bei Gewerkschaftsgründungen außerhalb der Gefängnismauern stößt auch die Interessenvertretung in der JVA nicht überall auf Sympathie. Nach der Veröffentlichung der Gründungserklärung wurden in den Zellen von Rast und einem weiteren Gewerkschaftsaktivisten bei einer Zellenrazzia zahlreiche Unterlagen zur Gewerkschaftsgründung beschlagnahmt. Der Leiter des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit der JVA Tegel, Lars Hoffmann, wollte auf Nachfrage gegenüber »nd« zu der Gewerkschaftsgründung und der Durchsuchung keine Stellungnahme abgeben.
Der Berliner Rechtsanwalt Sven Lindemann, der Rast juristisch vertritt, betont, dass die gewerkschaftlich engagierten Häftlinge nur ihr Grundrecht wahrnehmen. Schließlich gelte das in Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht auf Koalitionsfreiheit auch im Gefängnis. Auch der Gefangenenbeauftragte des zivilgesellschaftlichen Komitees für Grundrechte und Demokratie, Christian Herrgesell, sieht in der Gewerkschaftsgründung die Wahrnehmung eines Grundrechts. Allerdings zeige die Erfahrung immer wieder, dass die Anstaltsleitungen häufig mit der Wahrung von Sicherheit und Ordnung in der JVA argumentieren, um Grundrechte in Bezug auf die politische Willensbildung im Gefängnis einzuschränken. Daher sei es immer wichtig, dass solche Initiativen hinter Knastmauern von außen unterstützt werden.
In der Gründungserklärung der Knastgewerkschaft werden ausdrücklich verschiedene gewerkschaftliche Strukturen angesprochen. »Wir erhoffen uns von DGB-Einzelgewerkschaften und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen eine konkrete Unterstützung«, heißt es dort. Kritisiert wird in der Erklärung, dass bei der aktuellen Debatte über den Mindestlohn Inhaftierte vergessen werden, »obwohl Zehntausende von ihnen in den Haftanstalten u.a. für externe Konzerne Produkte fertigen und für staatliche Stellen arbeiten.« Die Unterstützung der Knastgewerkschaft könnte so auch verhindern, dass Gefängnisse als gewerkschaftsfreie Zonen zum Lohndumping beitragen.