LOHN Häftlinge arbeiten hinter Gittern für wenig Geld. Um das zu ändern, haben einige Insassen der JVA Tegel nun eine Gewerkschaft gegründet. Außerhalb der Knastmauern stoßen sie damit jedoch auf wenig Begeisterung
von MATTHIAS BOLSINGER
Uli aus Landsberg bekommt Post von Olli aus Tegel. Im Umschlag befindet sich ein Beitrittsformular. Oliver Rast, Häftling in der JVA Tegel, will Uli Hoeneß, den ehemaligen Präsidenten des FC Bayern und jetzt Häftling in der JVA Landsberg, zum Eintritt in eine Gewerkschaft bewegen. Dieser von Rast gegründete Zusammenschluss prangert die Lohnverhältnisse in Gefängnissen an. Denn wie Zehntausende andere Häftlinge in Deutschland bekommt auch Hoeneß für seine Arbeit im Knast weniger als 2 Euro in der Stunde.
Was einem Multimillionär wie ihm egal sein kann, kann andere in den Ruin treiben. Während ihrer Haft zahlen die Inhaftierten nämlich außerdem nicht in die Rentenversicherung ein. Das bedeutet geringere Rentenansprüche im Alter. Bei langjähriger Strafe könne das im schlimmsten Fall sogar dazu führen, dass ein Häftling so lange keine Beiträge bezahlen kann, dass er direkt in die Altersarmut entlassen wird, so die Deutsche Rentenversicherung.
Oliver Rast will an diesen Zuständen etwas ändern. Gegen Ende seiner dreijährigen Haftstrafe hat der 42-Jährige Ende Mai in der JVA Tegel Unterschriften für die Gründung eines Vereins gesammelt, der sich als Gewerkschaft bezeichnet. Innerhalb weniger Wochen wurden in der JVA Tegel mehrere hundert Unterschriften gesammelt, mehr als 30 Knackis sind schon in die Gewerkschaft eingetreten.
Die Gefängnisleitung reagierte auf die Aktivitäten Rasts mit einer Zellendurchsuchung – offiziell, weil der 42-Jährige die Unterschriftensammlung nicht angemeldet hatte. Rast und seine Mitstreiter vermuten dahinter, dass die Vereinsgründung vonseiten der JVA nicht gern gesehen wird.
Die Gewerkschaft fordert für Gefangene einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde und eine Eingliederung in die Rentenversicherung. Damit allerdings steht sie auf einem geradezu aussichtslosen Posten: Kaum eine Gruppe hat eine kleinere Lobby in der Gesellschaft als die von ihr Eingesperrten.
Entsprechend fallen die Reaktionen der Regierenden auf die Forderungen der Gefangenen aus. Berlins Justizsenator Heilmann (CDU) teilte auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Abgeordnetenhaus mit, dass für Berliner Gefangene kein Mindestlohn geplant sei. Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hält einen Mindestlohn für Gefangene für juristisch problematisch und kaum vermittelbar – solange man auch bei Berufsgruppen wie Zeitungszustellern noch Ausnahmen vom Mindestlohn mache. Eine etwas bessere Bezahlung könne man zwar „im politischen Raum diskutieren“. Die Forderungen der Gefangenengewerkschaft nach einem Mindestlohn und einer Eingliederung in die Rentenversicherung unterstützt er aber nicht, sagte er.
Auch die Gewerkschaften in Freiheit empfangen die Gefangenen nicht mit offenen Armen. Ein Sprecher von Ver.di hält die Chancen auf eine Zusammenarbeit für gering: „Ich frage mich, ob die Anliegen der Gefangenen bei einer Gewerkschaft richtig aufgehoben sind.“
Dabei stellt die Gefangenengewerkschaft eine Urfrage der Arbeiterbewegung – die nach dem Wert der Arbeitskraft – lediglich in einen neuen Kontext: Ist Arbeit weniger wert, wenn sie von einem Verbrecher geleistet wird?
Ja, sagt der Staat. Er verpflichtet die Häftlinge zur Arbeit. Darin unterscheiden sie sich von den Arbeitnehmern auf dem freien Markt. Für ihre Pflichtarbeit erhalten die Insassen für einen knapp achtstündigen Arbeitstag – je nach Qualifikation und Zulagen – zwischen 8,96 und 14,93 Euro. Pro Stunde also maximal 1,87 Euro. In der freien Wirtschaft würde das als Hungerlohn gelten. Doch weil die Häftlinge kein freies Arbeitsverhältnis eingehen, gelten für sie keine Tarife und Mindestlöhne.
Knastarbeit halten die Behörden zudem für unergiebig: „Sie behaupten, Häftlinge würden weniger gründlich arbeiten“, sagt Kirstin Drenkhahn, Professorin für Strafrecht an der FU Berlin. „Aber womöglich verwechseln sie da Ursache und Wirkung. Vielleicht sind Häftlinge weniger produktiv, weil sie schlecht bezahlt werden.“
Die Gefangenengewerkschaft widerspricht der Darstellung, dass Gefängnisarbeit unproduktiv sei, ohnehin. Oliver Rast etwa hat in der Kartonage der JVA gearbeitet und dabei Stehordner gefertigt. 50 bis 100 dieser Ordner habe er am Tag produziert, sagt Rast. Im gefängniseigenen Shop verkauft die JVA die Stehordner für knapp 18 Euro pro Stück – mehr als der Tageslohn eines Gefangenen. Auf ihrer Homepage bezeichnet die JVA selbst ihre Produkte als „qualitativ hochwertig“. Und für die öffentliche Hand bedeutet die Arbeit der Gefangenen ein gutes Geschäft: 2013 nahm die Senatsverwaltung für Justiz knapp 7 Millionen Euro durch Dienstleistungen mit der Herstellung von Produkten durch Inhaftierte ein.
Doch der Zwang zur Knastarbeit steht ohnehin vor dem Aus. Denn Berlin bekommt bald ein neues Strafvollzugsgesetz. Im Zuge der Föderalismusreform müssen die Bundesländer ihre eigenen Haftregeln aufstellen. Zehn Länder haben vor zwei Jahren einen Entwurf des Strafvollzugsgesetzes angefertigt, in dem die Arbeitspflicht aufgehoben ist. Über den Stand der Reform in Berlin will die Senatsverwaltung keine Auskunft geben. Brandenburg indes hat die Vorlage bereits umgesetzt. Dort gilt die Arbeitspflicht für Häftlinge nicht mehr.
Manche hoffen, dass Niedriglöhne für Gefangene dadurch bald nicht mehr haltbar sind. Vito Lestingi, Redakteur der Tegeler Gefangenenzeitung Der Lichtblick, meint: „Wenn die Pflicht wegfällt, gehen die Gefangenen freiwillige Arbeitsverhältnisse ein. Die müssen dann anders entlohnt werden als Pflichtarbeit.“
Der Bremer Rechtswissenschaftler Johannes Feest ist dabei allerdings skeptisch: „Gerichte und Politik werden weiter argumentieren, dass die Arbeit hinter Gittern weniger wert ist als in Freiheit“, sagt Feest. „Ich persönlich finde es aber richtig, dass eine Gefangenengewerkschaft die Forderung nach mehr Lohn erhebt.“
In den Knästen selbst könnten Rast und seine Genossen eine breite Bewegung gestartet haben – denn nicht nur in Tegel stößt der organisierte Arbeitskampf der Inhaftierten auf großes Interesse. Gefangene in Willich, Aschaffenburg, Dresden und in der JVA Plötzensee haben bereits Ortsgruppen gegründet. Sie alle werden viel Überzeugungskraft brauchen, wenn sie erfolgreich für die Wünsche der Knastarbeiter werben wollen – oder prominente Unterstützung. Uli in Landsberg muss nur noch unterschreiben.
Ist Arbeit weniger wert, wenn sie von einem Verbrecher geleistet wird?