Gewerkschaft Knast & Zelle

Erschienen in „stern“, 18. Juni 2015

Von Autor Frank Brunner

In deutschen Gefängnissen arbeiten Häftlinge für ein paar Euro am Tag. Jetzt fordern sie den Mindestlohn.

Wer den früheren Bankräuber bei der Arbeit besuchen will, muss am Eingang Ausweis und Handy abgeben, eine Sicherheitsschleuse durchlaufen, Stahltüren passieren, vorbei an meterhohen Mauern und bewaffneten Wärtern. Am Ende wartet der 59-Jährige mit einem Stapel Schaumstoff. Einst hatte er mit Komplizen ein paar Tausend Euro geraubt, nach mehrstündiger Flucht stoppte ihn das SEK. Seit Jahren arbeitet er nun in der Polsterei der Berliner Justizvollzuganstalt (JVA) Tegel. Er schmirgelt an Stühlen, schneidet und näht Stoffe. Gerade polstert er Sessel für das Abgeordnetenhaus auf. Vollzeit. Für 240 Euro im Monat. „Das ist ungerecht“, sagt er. Darum ist er jetzt in der Gewerkschaft. Der Gefangenengewerkschaft.

Bundesweit haben sich Häftlinge zusammen getan. Sie fordern: Mindestlohn auch hinter Gittern! „Wenn Arbeit der Resozialisierung dienen soll, müssen die Gefangenen spüren, dass sie sich lohnt“, sagt der Sprecher der Gewerkschaft, Oliver Rast. Auch er saß im Knast, verurteilt als Mitglied einer linksradikalen Gruppe wegen Anschlägen auf staatliche Einrichtungen; erst seit ein paar Monaten ist er frei. Der niedrige Lohn sei ein Skandal, sagt er. Zudem drohe den Häftlingen Altersarmut, weil sie nicht in die Rentenkasse einzahlen dürften. Das gleiche einer „Doppelbestrafung“, weil die niedrigen Rentenansprüche oft erst weit nach Ende der Haftstrafe spürbar seien.

Etwa 66.000 Menschen leben in Deutschland hinter Gittern, rund 41.000 von ihnen arbeiten. Sie putzen Büros, jobben in der Gefängniswäscherei oder der Küche. Oder sie arbeiten in sogenannten Unternehmerbetrieben, im Auftrag der freien Wirtschaft. Zwischen neun und 15 Euro erhalten sie dafür – am Tag.

Die Knastarbeit floriert. Rund 1,76 Millionen Euro erwirtschafteten die JVA Tegel und die anderen Berliner Haftanstalten 2014 mit Auftragsarbeiten für Unternehmen. Dazu kommt ein Auftragsvolumen von 4,3 Millionen Euro durch Aufträge für Schulen und Behörden. Und auch in anderen Bundesländern geht es um Millionen. „Die Gefangenen arbeiten unter anderem für Automobilzulieferer und die Verpackungsindustrie“, sagt die stellvertretende Leiterin der JVA Frankenthal in Rheinland-Pfalz, Gundi Bäßler. 260 Arbeitsplätze gibt es dort, die meisten in eben jenen Unternehmerbetrieben. Ein Autozulieferer zum Beispiel lässt Drahtbügeltaschen für Gitterboxen produzieren, die laut Betriebsleiter später von BMW, Audi und Mercedes verwendet werden. Der Vorteil für die Firmen liege vor allem darin, dass sie auf Auftragsschwankungen flexibel reagieren können, sagt Bäßler. Sie könnten Auftragsspitzen ganz einfach mit Gefangenen abfedern. „Die Unternehmen zahlen dabei meist den Tariflohn, von dem aber nur ein Teil an die Häftlinge weitergereicht wird“, sagt Bäßler.

Ob das gerecht ist, darüber sprechen in dieser Woche die Justizminister der Bundesländer bei ihrem Treffen in Stuttgart. Den Mindestlohn werden sie dabei nicht einführen; nur Brandenburg schließt ihn nicht grundsätzlich aus. Justizminister Helmuth Markov (Die Linke) würde ihn aber an Bedingungen knüpfen. So sollten sich Häftlinge an Haftkosten beteiligen und Opfer entschädigen. Die übrigen Justizminister argumentieren, dass Gefangene keine regulären Arbeitnehmer seien, zudem sei die Produktivität deutlich niedriger als außerhalb der Knastmauern. Viele Gefangene haben keinen Schulabschluss und keine Ausbildung, einige müssen sogar erst lernen, morgens aufzustehen.

In die Frage der Sozial- und Rentenabgaben dagegen wollen die Justizminister eine Arbeitsgruppe einrichten. „Auch Gefangene sollten die Möglichkeit bekommen, für das Alter vorzusorgen“, sagt Uta-Maria Kuder, die CDU-Ministerin von Mecklenburg-Vorpommern. Aus Bayern heißt es dagegen: Zwar gebe es „gute vollzugliche Argumente für einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz“, aber die „Einführung staatlicher Leistungen muss sich immer auch an den übergeordneten Zielen der Haushaltskonsolidierung messen lassen“. Im Klartext: sinnvoll, aber zu teuer. Und der frühere Bankräuber in Tegel? Der hat in der Polsterei seinen Facharbeiter gemacht. Nun will er Gerechtigkeit. „Wir wollen nichts geschenkt haben“, sagt er, „aber wir wollen unsere Schulden bezahlen, unsere Angehörigen unterstützen und draußen wieder auf die Beine kommen.“

Quelle: http://zeitenspiegel.de/de/projekte/reportagen/gewerkschaft-knast-and-zelle/article/

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