«Gefangenengewerkschaft» in der JVA Berlin-Tegel gegründet -SoZ

aus SoZ, Sozialistische Zeitung 09/2014

Insassen fordern Mindestlohn und Einzahlungen in die Rentenversicherung

von Jochen Gester

Am 22.Mai haben Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel eine Organisation (GG/BU) gegründet, die als Gefangenengewerkschaft arbeiten soll. Sie betraten damit politisches Neuland, da das Gesetz eine gewerkschafliche Vertretung der Häftlinge nicht vorsieht.Dies ist nicht der erste Versuch eine Organisation zu gründen, die sich das Ziel setzt, die Interessen von Menschen in Haft zu vertreten. Ende der 60er Jahre wurde die Internationale Gefangenengewerkschaft gegründet. Sie hatte Sektionen in Österreich, der Schweiz und in Deutschland. Die Versuche scheiterten nicht nur daran, dass sie durch die Vollzugsanstalten immer wieder unterbunden wurden, sondern auch daran, dass ihr Kernpersonal nicht aus Gefangenen, sondern aus Vertretern von Behörden und ihnen nahestehenden Personen bestand. So mussten berechtigte Zweifel daran aufkommen, dass die Organisation von den Gefangenen selbst kontrolliert wird.

Über die Schweizerische Gefangenengewerkschaft (SSG) ist bekannt, dass sie von Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik gegründet wurde und sich vor allem der kritischen Begleitung der Justizreform widmete. Ein linkes Profil wollte sie nicht, und sie grenzte sich deutlich von «sogenannten ‹progressiven› Gruppen» ab, die «unter dem Vorwand der Sorge um den Strafvollzug politische Ziele zu erreichen» versuchten. Schweizer Gefangene stellten offen in Frage, dass die SSG ihre Interessen vertritt. Im Laufe der 80er Jahre löste sie sich dann auf.

Doch es gibt Gefangenenselbsthilfeorganisationen in anderen Ländern, auf die diese Kritik nicht zutrifft. So ist die SUPLA in Argentinien Bestandteil eines Bündnisses von traditionellen Gewerkschaften und konnte für ihre Mitglieder durchsetzen, dass sie den Mindestlohn erhalten. Die Mindestlohnregelung gilt auch für Gefangene in Österreich und Italien.

Koalitionsfreiheit

Die Tegeler Gewerkschaft begreifen sich als Gefangenenselbstorganisation und besitzt ein klares linkes Profil. Einer ihrer Sprecher ist Oliver Rast, der im Rahmen der Prozesse gegen die sog. «Militante Gruppe» für drei Jahre in den geschlossenen Vollzug kam. Er ist Mitglied der IWW, der sog. «Wobblies». Die GG/BU will eine bundesweite Organisation aufbauen. Neben der Tegeler Gruppe beteiligen sich daran bisher Gefangene aus Berlin-Plötzensee, Willich und Aschaffenburg.

Rast und seine Kollegen betrachten den Gründungsakt als legal, weil das Recht auf Bildung und Koalitionen durch Art.9 Abs.3 Grundgesetz für alle Bürger gilt, ob sie nun gerade ihrer Freiheit beraubt sind oder nicht. Mit anwaltlicher Unterstützung arbeiten sie daran, ihre gewerkschaftliche Arbeit auf eine anerkannte legale Basis zu stellen.

In der GG/BU-Gründungserklärung heißt es dazu: «Mit der Gründung der ‹Gefangenen-Gewerkschaft der JVA Tegel› als ein sogenannter nichtrechtsfähiger Verein nach BGB §21 i.V.m. §54 schaffen wir uns als Inhaftierte eine Interessenvertretung, die insbesondere auf die Unterstützung der in den JVAs arbeitenden Gefangenen zielt. Wir nehmen in diesem Zusammenhang auf das grundgesetzlich verankerte Recht der Koalitionsfreiheit Bezug, welches im Art.9 Abs.3 GG verankert ist. Unser Gewerkschaftsverein, den man als eine Art basisgewerkschaftliche Initiative oder ‹Spartengewerkschaft› (ähnlich wie Cockpit und GDL) bezeichnen könnte, steht allen in Tegel einsitzenden Beschäftigten offen. Zwei Themen brennen uns auf den Nägeln: gesetzlicher Mindestlohn und Rentenversicherung. An diesem Punkten setzten wir an…»

Ihre rechtlichen Situation beschreiben sie so: «Wir sehen eine Parallele zum öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsverhältnis der Beamten mit dem Staatsapparat, denn als Gefangene unterliegen wir gleichfalls einem Sonderstatus. Beiden Gruppen wird jeweils die Arbeit zugewiesen. Gefangene unterliegen weiterhin der sog. Arbeitspflicht (§41 StVollzG). Im Gegensatz zur Beamtenschaft, die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gebildet hat, sind Gefangene ohne Gewerkschaft. Hier besteht Nachholbedarf, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen … Auch wenn Gefangene in einem ‹öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis eigener Art› und nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, stellen sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Denn auch Inhaftierte haben lediglich ihre Arbeitskraft als Ware zum Verkauf anzubieten, um sich in den Haftanstalten beispielsweise über den erforderlichen Zusatzeinkauf zu versorgen oder ihre Angehörigen draußen finanziell zu unterstützen. In diesem Sinne sind sie faktisch Arbeitnehmer wie ihre Kollegen vor den Toren der JVAs. Gefangenen den Arbeitnehmer-Status abzusprechen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund absurd.»

Mit Blick auf die Kollegen in Freiheit wünschen sich die Tegeler: «Wir erhoffen uns, dass wir von DGB-Einzelgewerkschaften (Ver.di, IG Metall) und den verschiedenen basisgewerkschaftlichen Initiativen (IWW, FAU) eine konkrete Unterstützung erfahren, damit die Knäste für die Inhaftierten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.»

Billige Arbeitskräfte

Die Angesprochenen haben gute Gründe, diesen Wunsch nicht in den Wind zu schlagen. Längst ist die Arbeit von Gefangenen ein bedeutender Standortfaktor im internationalen Konkurrenzkampf der weltmarktorientierten Unternehmen. In einigen Ländern wie den USA und China bildet er einen gewaltigen gefängnisindustriellen Komplex, der auf der Basis der Rechtlosigkeit und Ausbeutung der Gefangenen blüht.

Auch in der Bundesrepublik wächst das Interesse in Wirtschaft und Politik, sich dieser attraktiven Ressource zwecks Kostensenkung zu bemächtigen. So konnte das Kölner Autonome Knastprojekt recherchieren, dass z.B. die Firma Miele in der JVA Rheinbach Kabeltrommeln für ihr Werk in Euskirchen vormontieren lässt. Miele hat im letzen Jahr eine Million Teile aus Gefangenarbeit bezogen. Das Land NRW fungiert als Subunternehmer und honoriert seine Arbeitspflichtigen mit einem Taschengeld. Ihr Tageslohn betrug 11 Euro. Auch die Automobilindustrie lässt gerne im Knast arbeiten. So nähen Frauen in der JVA Aichach Sitzbezüge für BMW.

Die politische Administration sieht sich in der Pflicht, das Modell fortzuschreiben. So kann man z.B. auf der Website der «Arbeitsbetriebe der niedersächsischen Justiz» das folgende Angebot lesen:

«Wir sind ein moderner und leistungsstarker Landesbetrieb mit betriebswirtschaftlicher Ausrichtung. Unser Anliegen ist die Stärkung der regionalen Wirtschaft. Hierzu steht Ihnen in unseren Fertigungs- und Lohnarbeitsbetrieben in Niedersachsen ein breites Angebot an Dienstleistungen, Handwerk und industrieller Produktion zur Verfügung … Sie konzentrieren sich auf das Kerngeschäft – wir übernehmen die Randprozesse bis hin zur ‹verlängerten Werkbank›. Kundenorientierung, Verlässlichkeit und erhöhte Wertschöpfung sind unsere Alternativen zu Experimenten in Richtung Auslandsproduktion. Wir unterstützen Sie durch Einbindung in die kundeneigenen Produktionsprozesse. Ihre Vorteile: Verringerung des Ressourceneinsatzes, Kosteneinsparpotenziale, Sicherung von Arbeitsplätzen durch das Outsourcing niederschwelliger Arbeiten. Klicken Sie sich durch unser Angebot und reden wir über mögliche Konzepte zur Steigerung Ihrer Produktivität im Rahmen einer Kooperation.»

Unfrei, aber nicht rechtlos

Die öffentlich bekannt gemachte Gründung der GG/BO in der Tegeler JVA blieb nicht ohne Reaktion der Anstaltsleitung. Diese veranlasste eine Zellendurchsuchung. Alle Unterlagen, die mit der nicht genehmigten Gruppenbildung zu tun haben, wurden vorläufig konfisziert. Doch die JVA-Leitung ließ auch erkennen, dass sie die Bildung eines nicht eingetragenen Vereins bzw. einer Gewerkschaft in der JVA für zulässig hält. Nur ist sie nicht bereit, diesem Zusammenschluss den Status einer Gewerkschaft zuzuerkennen. Damit kann sie sich in der Tat auf die bestehende Rechtsprechung stützen. Der Gefangene kann weder frei über seine Arbeitskraft verfügen noch besitzt er ein Streikrecht. Der Art.12a GG legalisiert die Zwangsarbeit bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe.

Auch wenn diese Menschen ihrer Freiheit beraubt sind, dürfen sie dennoch nicht alle Rechte damit verloren haben. Wenn sie als reguläre Arbeitskräfte eingesetzt werden – was ja der Fall ist, wenn sie sozusagen an Firmen verliehen werden –, dann sollten sie auch als solche behandelt werden. Das wäre ein Beitrag, Gefangenen mehr Rechte zu verschaffen und einen Teil der Billigkonkurrenz auszuschalten.

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