„Die Gefangenen werden doppelt bestraft“
Rente Eigentlich steht den Menschen im Gefängnis eine staatliche Alterssicherung zu. Doch die Regel wird bis heute nicht umgesetzt, kritisiert der Bürgerrechtler Martin Singe
Foto: Maja Hitij / dpa
der Freitag: Herr Singe, am Mittwoch und Donnerstag beraten die Justizminister der Länder über die Rente für Gefangene. Schon im Jahr 1977 wurde im Strafvollzugsgesetz festgelegt, dass inhaftierten Menschen eine staatliche Alterssicherung zusteht. Doch bis heute wurde diese Regelung nicht umgesetzt, wegen der „finanziellen Vorbehalte der Länder“. Was heißt das?
Martin Singe: Viele Gefangene arbeiten in der Haftanstalt. Wenn sie jetzt gesetzlich rentenversichert würden, müssten die Länder natürlich die Rentenbeiträge für die arbeitenden Gefangenen zahlen. Sie sind schließlich die Arbeitgeber. Aber die Länder machen auch große Profite. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel macht jährlich 50 Millionen Euro Gewinn aus der Gefangenenarbeit. Das wird dann bei der Rentendiskussion meistens verschwiegen.
Unternehmen können sich an den Staat wenden, wenn sie im Strafvollzug produzieren lassen wollen. Lohnt sich das überhaupt für die Firmen?
Im Strafvollzug wird sehr professionell gearbeitet, wie in anderen Betrieben auch. Es gibt ein breites Spektrum von Tätigkeitsbereichen, je nachdem, welche Unternehmen dort ihre Produktion oder Zu-Produktion machen. Das sind Autobetriebe, technische Produktionen und teilweise auch Handarbeiten. Der Stundenlohn liegt im Schnitt bei 1,50 Euro und im Moment lassen die Länder die Gefangenen praktisch alle schwarz arbeiten. Damit haben die Betriebe ihr Billiglohnland vor der eigenen Tür. Sowohl die Unternehmen als auch die Länder machen mit der Arbeit der Gefangenen große Gewinne.
Die Unterbringung der Gefangenen ist aber viel teurer und die wird von den Ländern bezahlt.
Natürlich ist die Unterbringung unterm Strich viel teurer. Aber es kann doch nicht sein, dass die Gefangenen auch noch ihren Strafvollzug selbst finanzieren. Für ihre Straftaten wurde ihnen die Freiheit entzogen. Die Nichteinbeziehung in die Rentenversicherung kommt einer Doppelbestrafung gleich. Das sind arbeitende Menschen. Ihnen ihre Rentenansprüche zu verwehren, verletzt ihre Würde. Außerdem wird damit gegen den Resozialisierungsauftrag verstoßen. Indem Gefangene arbeiten oder eine Ausbildung machen, sollen sie lernen, von ehrlicher Arbeit zu leben. Die Nichteinbeziehung in die Sozialversicherungssysteme bedeutet aber, dass sie direkt nach ihrer Entlassung in die Altersarmut gestoßen werden. Das führt zu einer höheren Rückfallquote.
Wenn sich die Justizminister nun für die Aufnahme von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung aussprechen, wie geht es dann weiter?
Wenn es eine Mehrheit gäbe, dann könnte es ganz schnell gehen, dass der Bundestag ein Gesetz vorlegt und die Länder dann im Bundesrat zustimmen. Mit unserer Petition versuchen wir – gemeinsam mit zahlreichen anderen Organisationen, die in der Straffälligenhilfe tätig sind – bereits seit 2011, die Verantwortlichen dazu zu bewegen, endlich ein entsprechendes Bundesgesetz zu erlassen. Ich befürchte allerdings, dass auch diese Woche die Rente für Gefangene nicht beschlossen wird. Aber ich hoffe, dass zumindest deutlich wird, dass es in den Ländern unterschiedliche Meinung dazu gibt und dass die Sache dringend weiter diskutiert werden muss.
Martin Singe setzt sich als Referent beim Grundrechtekomitee in Köln für die Wahrung der Rechte von Gefangenen ein. Dazu arbeitete das Komitee auch eng mit anderen Hilfsorganisationen für Straffällige zusammen.
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/bebero-lehmann/die-gefangenen-werden-doppelt-bestraft