Justiz: Wer in Bayern im Gefängnis sitzt, ist zur Arbeit verpflichtet. Die Häftlinge arbeiten als Schlosser, Schneider oder in der Autowerkstatt. Die hochwertigen Produkte, die sie herstellen, sollen künftig gemeinsam vermarktet werden.
Martin Hauser (Name geändert) verbirgt sein Gesicht hinter einer Schutzmaske. Die Funken sprühen, als er sein Schweißgerät an das Stück Metall auf der Werkbank ansetzt. Hauser schweißt nicht die Gitter für sein eigenes Gefängnis, wie es Häftlinge in manchen bayerischen Justizvollzugsanstalten tun. Er arbeitet am Gestell für einen landwirtschaftlichen Anhänger. Ein Landmaschinenhersteller lässt diese in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Niederschönenfeld im Landkreis Donau-Ries produzieren.
Bayerische Strafgefangene arbeiten für Hunderte von Unternehmen – und es sollen noch mehr werden. Eine eigene Abteilung vermarktet die Gefängnisse künftig als günstige Produktionsstätte gleich vor der Haustür. Leiter Karl Rehm und sein Team haben nicht nur ein schickes neues Büro in Rain am Lech (Lkr. Donau-Ries). Sie haben auch große Pläne.
Strafgefangene in bayerischen Haftanstalten sind per Gesetz „verpflichtet, eine ihren körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit auszuüben“. Das soll ihnen die Wiedereingliederung erleichtern. Hat der Straftäter ein bisschen Geld und findet einen sicheren Job, wird er nach der Haft ein braver Bürger. Hofft man. Vor Unternehmen in Bayern bewirbt das Justizministerium die Arbeitsbetriebe der JVAs als „verlängerte Werkbank“ – mit eigener, moderner Technologie, 90 000 Quadratmetern Produktionsfläche und 36 Standorten, günstig verteilt über ganz Bayern.
Bisher hatte ein Beamter nebenbei die gefängniseigenen Betriebe verwaltet. In der neu strukturierten Service- und Koordinierungsstelle für das Arbeitswesen, im Vollzug auch kurz und prägnant „Seko“ genannt, kümmern sich drei Mitarbeiter und eine Teilzeitkraft um nichts anderes. Ihr Büro ist lichtdurchflutet und könnte mit den hellen, schlicht gestalteten Design-Möbeln auch in München liegen. An der Kante der Schreibtische prangt ein Emblem aus Metall: „Haftsache“ steht darauf. „Gefällt es Ihnen?“, fragt Matthias Hirmer, stellvertretender Leiter der Seko.
Vor einem Monat hat das Team die Räume im historischen Stadtkern von Rain bezogen. „Die Möbel haben Gefangene in der Schreinerei der JVA Niederschönenfeld gemacht“, sagt Hirmer. Seine Unterlagen für die Arbeit transportiert er in einer schlichten schwarzen Filztasche. Ständig fragen ihn Leute im Zug und auf der Straße, wo es sie zu kaufen gebe. Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Denn die Tasche stammt aus der Gefängnisschneiderei in Aichach (Lkr. Aichach-Friedberg). Es gibt sie nicht einfach so zu kaufen. Noch nicht.
Wenn alles nach Plan läuft, kann man Angebote aus Bayerns Gefängniswerkstätten bald im Internet bestellen. In Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oder Sachsen gibt es die Knast-Onlineshops schon lange. In Hamburg gehen T-Shirts des Gefängnislabels „Santa Fu“ so gut weg wie Fischbrötchen an der Elbpromenade. Ebenfalls unter den Top-Produkten: „Knast, Land, Fluss“, die leicht abgewandelte Version des Klassikers aller Gesellschaftsspiele. In Bayern ist zumindest die Internetadresse für den Onlineshop schon reserviert: haftsache.de.
In der realen Welt ist die Infrastruktur weiter gediehen. Schreinerei, Schlosserei, Friseur, Malerbetrieb, Kfz-Werkstatt: Viele JVAs sind wie kleine Städte organisiert, abgetrennt durch Mauern und Stacheldraht. In Niederschönenfeld zum Beispiel, einer Anstalt für 260 Häftlinge bis 26 Jahre, liegt der Schwerpunkt auf Metallverarbeitung.
Für Martin Hauser ist das ideal. Draußen hatte er eine Ausbildung als Schlosser angefangen. Heute ist Hauser Mitte 20. Im Jahr 2013 wurde er zu zwei Jahren Haft verurteilt. Warum, das behält die Leitung der JVA für sich. Persönlichkeitsschutz des Häftlings. Seit einem Jahr nun sitzt Hauser in Niederschönenfeld ein, macht in der Schlosserei seine Lehre fertig. Fünf Arbeitstage, 40-Stunden-Woche: Die Bedingungen sind fast wie draußen.
An den Wänden der weitläufigen Halle hängen Schraubenschlüssel, an den Maschinen arbeiten Schlosser in Blaumännern. Nichts erinnert daran, dass man sich in einem Gefängnis befindet. Nur, dass Hauser und seine Kollegen zum Feierabend nicht einfach zur Tür hinausmarschieren können.
Aus der Werkstatt kommt der Lehrling nur raus, wenn sein Ausbilder die Tür aufschließt. Zuvor zieht er seine Arbeitskleidung aus, ein Vollzugsbeamter kontrolliert ihn mit einer Sonde. Der Zellenbau liegt gleich nebenan. Dort wird Hauser nach Dienstschluss noch einmal durchsucht.
Und dann gibt es da noch einen kleinen Unterschied zur freien Wirtschaft: den Lohn. 12,25 Euro verdient ein Gefangener im Schnitt pro Tag. Diese Durchschnittsvergütung entspricht neun Prozent des mittleren Lohns aller Deutschen, die in die Rentenversicherung einzahlen. Den Mindestlohn gibt es im Knast nicht. Mehr als 400 Häftlinge in Deutschland wollen das nicht länger akzeptieren. Sie haben sich der Gefangenengewerkschaft angeschlossen, die Häftlinge im Mai 2014 in der JVA Berlin-Tegel gegründet haben.
Martin Hauser beschwert sich nicht. Ihm kommt es vor allem darauf an, die Zeit im Knast „irgendwie sinnvoll zu nutzen“. Von dem Geld, das er verdient, kauft er sich dann oft ein paar Kleinigkeiten beim Lebensmittelhändler, der einmal im Monat in der JVA vorbeikommt. Vor seinem Besuch geben die Häftlinge Bestelllisten ab. Auf Hausers Liste steht fast immer dasselbe: „Tabak, Kaffee, Hygieneartikel“. Andere Strafgefangene sparen das Geld für ihre Entlassung oder unterstützen ihre Familien.
Man könne die Produktion im Gefängnis nicht mit dem freien Markt vergleichen, sagt Seko-Leiter Karl Rehm. Nach Angaben des Justizministeriums erreicht die „Produktivität der Gefangenenarbeit nur etwa 20 Prozent des in der gewerblichen Wirtschaft erzielten Werts“. Die Gründe: viele Mitarbeiterwechsel, kaum Fachkräfte, Resozialisierungsmaßnahmen oder Therapien während der Arbeitszeit.
„Wir wären nicht wettbewerbsfähig, wenn jeder Häftling den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde verdienen würde“, sagt Seko-Leiter Karl Rehm – und beeilt sich zu betonen, dass das oberste Ziel der Gefängnisarbeit weit entfernt davon liegt, möglichst viel Geld zu erwirtschaften: Resozialisierung heißt das große Wort. „Die Gefangenen“, sagt Rehm, „sollen die Arbeitspflicht als Chance begreifen.“ Sie sollten die Monate und Jahre in Haft nutzen, um später auf dem „externen Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen. Aber warum dann die Vermarktungsoffensive? Nur mithilfe „überregionaler Kontakte zu Industrie und Handwerk“ könne man möglichst viele Gefangene beschäftigen und ausbilden, heißt es aus dem Ministerium. Einnahmen zu erzielen – im Jahr 2014 waren es immerhin 44,13 Millionen Euro –, darum geht es demnach zumindest „nicht maßgeblich“.
Tatsächlich kommen der Statistik zufolge viele Strafgefangene mit schulischen und beruflichen Defiziten in Haft. Nimmt man den 31. März 2014 als Stichtag, verfügten von rund 8000 Strafgefangenen in Bayern etwa drei Viertel über einen Schulabschluss, bei den 623 Jugendstrafgefangenen war es nur knapp die Hälfte. Eine abgeschlossene Berufsausbildung hatten lediglich knapp über 50 Prozent der erwachsenen Strafgefangenen.
Nachfrage bei Peter Sandmeir, Unternehmer aus Rain. „Ich würde einen Gefangenen aus der JVA-Schlosserei sofort als Mitarbeiter einstellen, sofern er unsere Anforderungen erfüllen kann“, sagt der Seniorchef der gleichnamigen Stahlbaufirma. Seit etwa einem Jahr lässt er in der Niederschönenfelder JVA-Schlosserei Einzelteile für Treppenanlagen und Balkongeländer fertigen. Etwa drei Prozent seines Absatzes entstehen im Knast. In seinen eigenen Hallen beschäftigt Sandmeir etwa 30 Mitarbeiter. „Ohne die JVA könnten wir nicht alle Aufträge pünktlich abarbeiten.“
Das Gefängnis liegt günstig, vom Firmenstandort im Rainer Gewerbegebiet sind es mit dem Auto nur ein paar Minuten. „Und“, Sandmeir sagt es gerade heraus, „die Fertigung in der JVA-Schlosserei ist um etwa 15 Prozent günstiger als in der freien Wirtschaft.“ Dass er so offen spricht, unterscheidet ihn von vielen Unternehmern, die ihre Produktion in Gefängnisse auslagern. Die meisten gehen nicht unbedingt damit hausieren. In diesem Punkt setzt die nächste große Aufgabe der Seko an. „Wir wollen am Image der Arbeitsbetriebe arbeiten“, sagt deren Leiter. Manche Arbeitgeber seien nach wie vor von der Vorstellung abgeschreckt, ihre Produktion ins Gefängnis zu verlagern, sagt sein Kollege Matthias Hirmer. „Der Strafvollzug muss aus dieser gewissen Ecke raus.“
Die Modellbau-Affäre um Ex-Staatskanzleichefin Christine Haderthauer und ihren Ehemann war als Imagearbeit eher kontraproduktiv. Hubert Haderthauer, Landgerichtsarzt in Ingolstadt, hatte für seine Firma „Sapor Modelltechnik“ seit den 1990er Jahren von psychisch kranken Straftätern exklusive Modellautos fertigen lassen und diese später teuer verkauft. Die hochwertigsten Modelle konstruierte der Dreifachmörder Roland S. Heute ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen möglicherweise betrügerischer Geschäftspraktiken gegen die Haderthauers.
Für Karl Rehm und Matthias Hirmer sind solche Negativschlagzeilen Einzelfälle. „Wir wollen“, sagt Hirmer, „die soziale Komponente des Arbeitswesens hervorheben.“ Und das ist für ihn ganz einfach: „Man tut etwas Gutes, wenn man den Häftlingen Arbeit gibt.“
Arbeiten in der Justizvollzugsanstalt
Einnahmen: 2014 lagen die Gesamteinnahmen des bayerischen Justizvollzugs bei 52,44 Millionen Euro, 44,13 Millionen Euro stammen aus der Gefangenenarbeit. Die Ausgaben des Vollzugs lagen laut Justizministerium bei 407,29 Millionen Euro – ergibt einen Zuschussbedarf von 354,85 Millionen Euro. Kosten: Ein Gefangener verursachte im Jahr 2013 durchschnittliche Kosten von 98,90 Euro pro Tag. Das sind 36 098,50 Euro im Jahr. Dass ein Häftling durch seine Arbeit auch Geld für den Staat erwirtschaftet, ist in dem Betrag berücksichtigt. Arbeitspflicht: Bei einer Durchschnittsbelegung von 11 538 Gefangenen in den bayerischen Justizvollzugsanstalten waren im Jahr 2013 52,4 Prozent der Häftlinge beschäftigt. 47,6 Prozent führten die Arbeitspflicht damit nicht aus. Das liegt nur zum Teil an der mangelnden Auslastung der Arbeitsbetriebe mit Aufträgen. Etwa 20 Prozent waren nicht arbeitspflichtige Untersuchungsgefangene. Andere Gründe dafür, dass Gefangene nicht arbeiten, sind Krankheit oder das Alter: Wer die 65 überschritten hat, ist von der Arbeitspflicht freigestellt.
Text: Sari