GG/BO Soligruppe Berlin: Gegen die Stadt der Reichen. Für eine Gesellschaft ohne Knäste. Für eine Gesellschaft ohne Miete, Kapitalismus und Lohnarbeit.
Die Welt der Knäste
Knäste sind ein extremer Ausdruck der Logik von Eigentumsrechten und Grenzen. Sie sind dafür geschaffen, die herrschende Ordnung und damit die Ungleichheiten, die der Markt produziert, aufrechtzuerhalten. Während Kapitalist*innen immer mehr Wohlstand anhäufen, haben die Ausgebeuteten und Ausgeschlossenen immer weniger Gründe, Eigentumsrechte zu beachten. Trotz dessen ist eine Spaltung zwischen Arbeiter*innen draußen und Gefangenen zu beobachten: aus Sicht vieler Arbeiter*innen sind die Probleme der sogenannten „Kriminellen“ oft ihre „eigene Sache“ und vor allem ihre eigene Schuld. Wundern tut diese Ansicht allerdings nicht.
Je deutlicher die sogenannte kriminelle Klasse abgespalten ist, desto einfacher lässt sie sich kontrollieren und es scheint, als ob sie bzw. ihre Handlungen im Widerspruch zur sogenannten „ehrlichen“Arbeiterschaft stehen. Ungehorsame werden als „kriminelle Elemente“ isoliert und das Knastsystem, verbunden mit Strafe und Überwachung, sorgt somit für eine verfestigte Spaltung zwischen Arbeiter*innen draußen und Gefangenen. Einige Arbeitende sind gegenüber Gefangenen feindlich gestimmt anstatt wütend auf die Kapitalist*innen zu sein, welche die Arbeiter*innen stetig ausbeuten.
Außerdem kann die Knastindustrie erzwungene günstige Arbeiter*innen zur Verfügung stellen. Diejenigen also, welche vom Markt ausgeschlossen worden sind, stehen ihm aber trotzdem durch Zwang zur Verfügung. Gefangene können am Markt nur insofern teilhaben, als dass sie für ihn produzieren – die Produkte, welche sie hergestellt haben, können sie weder behalten, noch haben sie die Möglichkeit, sich von dem Hungerlohn von 1-2 Euro die Stunde irgendetwas finanziell leisten zu können. Die Knastindustrie stellt somit ein riesiges Maß an Überwachung und Kontrolle dar und erschafft eine soziale Schicht, welche nichts von der Weiterführung des Kapitalismus zu erwarten hat.
Die Welt des Kapitals und der Lohnarbeit
Mit dieser Perspektivlosigkeit sind Gefangene aber nicht allein. Die Welt des Kapitals und der Arbeit schließt die Mehrheit der Gesellschaft, finanziell wie strukturell, aus. Arbeiter*innen sind zwar Teil der Gesellschaft, aber durch zeitliche Reglementierung, welche die Lohnarbeit hervorbringt und den unzureichenden Lohn, können sie nicht an der Gesellschaft teilnehmen, wie sie wollen. Freizeit wird zur freien Zeit von der Lohnarbeit. Alles, was uns wichtig ist, packen wir in unsere viel zu knappe Freizeit, statt diese Dinge zu unserem Lebensmittelpunkt zu machen. Und egal wie viel wir ackern: wir werden niemals genug Geld haben, um das zu finanzieren, was wir wirklich wollen. So können wir auch nicht in unseren Kiezen bleiben, weil die Mieten immer mehr in die Höhe steigen und uns Reichere nach und nach verdrängen. Wir sind Teil der Gesellschaft – und werden doch aus ihr ausgeschlossen.
Obwohl Lohnarbeit also alles andere als erfüllend ist und wir von ihr nicht einmal erwarten können, dass wir zumindest dort leben können, wo wir es auch wollen, ackern sich die meisten die Finger wund.
Was wäre aber, wenn alle Angestellten, Gefangene und Nicht-Gefangene, die Lohnarbeit verweigern? Nicht nur an einem Tag, sondern grundsätzlich und fortdauernd? Sicherlich würde das die wirtschaftliche Krise bedeuten, vor der viel Angst geschürt wird. Aber es nicht die Krise, welche ungenügend Wohnraum und ausbeuterische (Lohnarbeits)verhältnisse verursacht, sondern die Tatsache, dass das derzeitige herrschende System aus Ausbeutung, Unterdrückung und Kapitalismus noch funktioniert. Wenn Menschen aus ihren Häusern vertrieben werden, während Wohnhäuser leer stehen und Menschen hungern, während es ein Überangebot an Lebensmitteln gibt, liegt das vor allem daran, dass in unserer Gesellschaft Ressourcen generell irrational verteilt werden. Natürlich sind die Konsequenzen einer Verweigerung der Lohnarbeit nicht zu romantisieren. Wenn diejenigen, welche die Macht vor der Krise inne hatten, sie auch behalten, werden sie über kommende Umbrüche ebenfalls bestimmen und sie in ihrem Interesse auslegen. So müssten Miete und Lebensmittel trotzdem finanziert werden – bei fehlender Lohnarbeit erscheint das mehr als schwierig.
Aber die Krise eröffnet uns auch die Möglichkeit, die Welt neu zu strukturieren. Wir können bei der Verweigerung der Lohnarbeit ein neues Bewusstsein über unsere Macht und Möglichkeiten entwickeln. Vielleicht entwickeln wir neue gemeinsame Projekte und Wege der Entscheidungsfindung. Vielleicht eignen wir uns unsere ehemaligen Arbeitsplätze an und nutzen sie, verbunden mit unseren Fähigkeiten und Talenten, um Dinge außerhalb der Logik von Profit und Konkurrenz zu erschaffen. Diese und viele andere Erfahrungen könnten wir sammeln – allerdings nicht, wenn wir weiter lohnarbeiten, weil uns das derzeitige herrschende System und der Alltagstrott gar nicht die Möglichkeit dazu verschafft.
Wie soll ein Haus dauerhaft besetzt werden, wenn alle pünktlich um 8 Uhr bei der Lohnarbeit sein müssen? Kann ein Mensch ein Leben ohne ökonomische und kapitalistische Zwänge kennen lernen, wenn mit dem Lohn im Monat das angebliche Leben ausrechnet werden muss? Wie sollen wir einen solidarischen Umgang miteinander in einer Gesellschaft lernen, in der es heißt, dass wir uns alleine nach oben durchboxen müssen?
Über unser Leben bestimmen wir nicht selbst. Wir lassen es durch den Staat in Form von Justizbehörden, Richter*innen, Gerichten, Politiker*innen, Kapitalist*innen, vermeintlichen Expert*innen und Arbeitgeber*innen bestimmen. Und schlimmer noch: diese Welt, auf die wir keinen Einfluss haben, die uns ausbeutet, unterdrückt, diskriminiert und aus Wohnungen rausschmeißt halten wir durch unsere Lohnarbeit sogar noch am laufen.
Haben wir irgendeinen Nutzen davon?
Wir schaffen Profite für diejenigen, die eh schon am meisten haben. Wir nutzen nicht unsere Fähigkeiten, sondern verkaufen sie an unsere Arbeitgeber*innen. Wir schaffen mit unserer Lohnarbeit Armut, weil sich der Profit bei wenigen anhäuft, während die Schwelle des Kapitals, das nötig ist, um Einfluss in der Gesellschaft auszuüben, weiter und weiter ansteigt. Bei diesen Prozessen verbannen wir Menschen. So bleiben beispielsweise Wohnungslose Teil der Gesellschaft und Teil der Kieze, werden aber gleichzeitig von ihnen ausgeschlossen. Für sie gibt es nicht die Möglichkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, noch, ihr zu entkommen. Wir arbeiten auch nicht wegen der „Lebenserhaltungskosten“, denn mensch kann das hier kaum „Leben“ nennen. Vielleicht ackern wir uns eher kaputt, um essentielle Bedürfnisse wie der Nahrungsaufnahme und ein Dach im Randbezirk über den Kopf zu erfüllen. Wir werden auch niemals „genug“ arbeiten können, um unsere Wünsche und Träume leben zu können: Geld ist immer und immer weniger zufriedenstellend. Je höher der Mensch in der Hierarchie aufsteigt, desto mehr muss mensch auch kämpfen und ausgeben, um nicht abzustürzen – umso mehr Geld ein Mensch besitzt, desto mehr steigen auch die sogenannten „Lebenserhaltungskosten“.
Warum lohnarbeiten wir also noch?
Innerhalb derzeitiger Umstände würde die Verweigerung der Lohnarbeit natürlich für viele auch die Bedrohung der Existenz bedeuten. Wahrscheinlich lohnarbeiten aber auch viele, weil sie sich eine bessere Welt nicht vorstellen können. Unsere Köpfe sind besetzt mit den derzeitigen Regeln des herrschenden Systems. Diese Regeln haben sich in unser Bewusstsein so sehr manifestiert, dass wir uns kaum vorstellen können, wie ein Leben ohne Lohnarbeit, Kapitalismus und Knast gestaltet werden kann.
Vielleicht gehen die wirtschaftlichen Zusammenbrüche und Streiks der Arbeiter*innen deswegen noch gar nicht weit genug. Solange die Ökonomie unser Leben bestimmt, wird unser Bewusstsein durch sie geprägt, Alternativen schwer vorstellbar und jede kleine von uns erzeugte Unterbrechung durch den riesigen Repressionsapparat auf uns zurückfallen. Deswegen können wir auch nicht erwarten, dass ein Streik oder eine Verweigerung der Lohnarbeit für einen Tag eine freiere Gesellschaft hervorbringt. Denn selbst wenn auf der Demonstration am 1. Mai alles so läuft, wie wir es uns erhoffen, wenn wir rebellieren, protestieren, uns für einen kurzen Moment die Straßen zurück nehmen und sich die Repressionsorgane an diesem Tag zurückhalten, würde unsdas niemals die Welt bringen, die wir uns wünschen. Vielleicht würde ein eintägiger Aufstand dem Staat sogar gut passen – jede*r kann sich vorstellen, welches Mediendrama dadurch erzeugt werden könnte und wie die Herrschenden dieses nutzen würden, um unsere Strukturen mit Repression zu konfrontieren.
Dagegen können tatsächliche langfristige Aufstände und dadurch erzeugte Krisen und Umbrüche eine Chance für einen sozialen Wandel sein, allerdings nur, wenn wir nicht mehr bereit sind, uns beherrschen zu lassen und den Wandel selbstbestimmt gestalten und organisieren. Eine Krise, zum Beispiel hervorgerufen durch die Verweigerung der Lohnarbeit, darf nicht in den Händen der Herrschenden bleiben oder fallen, sondern muss von uns genutzt werden, um die Machtverhältnisse zu verschieben.
Wenn wir die Verhältnisse tatsächlich verändern wollen, braucht es eine kämpferische, offensive und kontinuierliche Bewegung, welche keine Angst vor der Krise hat, sondern sie erzeugt und nutzt, um die Dinge neu zu strukturieren. Deswegen darf der Widerstand nicht auf einen Tag beschränkt werden. Lasst uns gemeinsam am 1.Mai auf die Straßen gehen, rebellisch sein und uns nehmen, was uns zusteht – und lasst uns entstandene Dynamiken weiterführen, sie nutzen und damit den Staat zum zittern und sein Getriebe zum Stillstand bringen! Die Verweigerung der Lohnarbeit ist eine Möglichkeit, sich gegen dieses System zu wehren und es gibt viele weitere. Wir müssen nur anfangen und dürfen nicht aufhören.
Berlin, 11. April 2019
Die von den einzelnen AutorInnen veröffentlichten Beiträge geben nicht die Meinung der gesamten GG/BO und ihrer Soligruppen wieder. Die GG/BO und ihre Soligruppen machen sich die Ansichten der AutorInnen nur insoweit zu eigen oder teilen diese, als dies ausdrücklich bei dem jeweiligen Text kenntlich gemacht ist.
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