Kein Mindestlohn, keine Rente, keine Krankenversicherung: Zwangsarbeit gibt es längst in Deutschland

Viele Unternehmen lassen im Ausland unter teils menschenunwürdigen Bedingungen ihre Waren herstellen. Doch auch in Deutschland gibt es sie, die Zwangsarbeit. Arbeiten ohne Mindestlohn, ohne Rentenansprüche, ohne Ausfallzahlungen bei Krankheit. Für den Staat ist das kein Problem, es wird sogar unterstützt und als soziales Projekt gefeiert.

Breite Produktpalette zu „attraktiven Preisen“

Die Zeiten, in denen in den Knästen Tüten geklebt und Kugelschreiber zusammen gedreht wurden, sind längst vorbei. Haftanstalten sind in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr und mehr zu Werkshallen, Produktionsstätten und Warenhäusern geworden. Aus dem Blick geraten dabei die Arbeitsbedingungen: Sozial- und Lohndumping wie in einer Sonderwirtschaftszone in Südostasien.

„Santa Fu“, der Knast in Hamburg machte vor zehn Jahren mit einem gleichnamigen Label den Auftakt. Weitere Haftanstalten in weiteren Bundesländern folgten der innovativen Vermarktung von „Häftlingsprodukten“ aus dem Hamburger Knast. Seitdem versuchen sich die Justizvollzugsanstalten dieser Republik im Vertrieb ihrer Produkte zu übertrumpfen.

Die Shopping-Mall mit dem Crime-Faktor kann direkt über stationäre JVA-Shops oder über Online-Plattformen angesteuert werden. Das ist die neue PR-Masche der Justizbehörden, um Produkte von Gefangenen zu vertreiben. Ganze Kreativabteilungen brüten hippe Produktnamen aus, schaffen neue Signets mit modischem Chic, gestalten und schalten grafisch aufwändige Reklame.

Der „JVA-Shop“ in Niedersachsen, der prominent mit verschiedenen Modellen von Edelstahlgrills und Grillzubehör wirbt, legt einen ambitionierten Internetauftritt hin. Roben für Richter_innen, Rechtsanwält_innen und Gerichtsprotokollant_innen sind gleichfalls im üppigen Angebot.

Mehr zum Thema: Der Knast ist für manche Menschen das Todesurteil

Der „Knastladen“ in NRW präsentiert ein umfassendes Standardmöbelprogramm, das in den Handwerksbetrieben der einzelnen JVA realisiert wird. Der „Gitterladen“ in Sachsen geht mit Heimtextilien und Berufsbekleidung ins Rennen.

Der Online-Shop der Haftanstalten in Baden-Württemberg offeriert landestypisch vollmundige Weine und spritzigen Sekt. Das „Vollzugliche Arbeitswesen“ unter dem grünen „Landesvater“ Winfried Kretschmann ist konsequent: die Produktionsstätten hinter Gittern werden gleich als „Niederlassungen“ bezeichnet. Im Südwesten ist die örtliche Automobilzuliefererindustrie fleißig dabei, sozialabgabenfrei Kunststoffkomponenten für alle bekannten Fahrzeugmarken in den so genannten Unternehmerbetrieben hinter den Gefängnismauern herstellen zu lassen.

Und nun der virtuelle Warenkorb „Haftsache“ aus Bayern. Dieser bietet alle Dienstleistungen und Erzeugnisse aus den 37 bayerischen Knästen zentral der Kundschaft feil. In Kooperation mit dem Lehrstuhl für Industrial Design der TU München werden beispielsweise elegante Smartphone- oder Aktentaschen von inhaftierten Frauen aus der JVA Aichach bestens in Szene gesetzt.

Profitable Knast-Industrie

Die sprichwörtlich unter Verschluss gehaltene Arbeitswelt hinter Gittern ist betriebswirtschaftlich organisiert. Mehrwert und nicht Ausschuss wird aus der Betriebslandschaft der Haftanstalten herausgepresst. Die JVA-Betriebe fungieren für die regionale Industrie als „verlängerte Werkbank“. Sie fangen Auftragsspitzen ab und minimieren den Ressourceneinsatz der Auftraggeber. Offensiv wird angepriesen, dass über die Knastarbeit Kosteneinsparpotentiale zu erzielen sind. Zynismus pur.

Kaum eine Landesbehörde, kaum ein namhaftes deutsches Unternehmen aus der Auto- bzw. Elektrobranche, welches nicht die menschliche Arbeitskraft Inhaftierter fast zum Nulltarif abschöpft.

Die „Ökonomisierung“ der Knastarbeit zeigt sich unter anderem in der Eröffnung der Online-Shops, die offenbar den traditionellen Versandhäusern und TV-Verkaufs-Sendern Konkurrenz machen wollen. Auch in diesem Segment sind Haftanstalten Teil des allgemeinen Marktgeschehens geworden. Von der oft behaupteten „Marktferne“ der Haft-Produktion kann keine Rede sein.

Arbeitszwang, Sozial- und Lohndumping hinter Gittern

Die in den Haftanstalten produzierten Waren und Dienstleistungen erfolgen unter Arbeitsbedingungen, die – so müsste man meinen – eigentlich nur der Vergangenheit angehören können. Weit gefehlt! Arbeitszwang, kein Mindestlohn, keine Rentenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz.

Das ist die Vollzugsrealität für arbeitende Gefangene. Soziale Mindeststandards sind nicht nur außer Kraft gesetzt, sie existierten noch nie. Die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) ist im Frühjahr 2014 angetreten, dies zu ändern. Grundsätzlich.

Engagierte Verbraucher_innen schlagen wegen der Online-Knast-Shops Alarm. Sie problematisieren die Beschäftigungsverhältnisse hinter Gittern. Prangern die sozial- und arbeitsrechtliche Diskriminierung an. Im Netz kursieren bereits die ersten Boykottaufrufe.

Unter der Parole „Wir wollen keine Produkte aus Zwangsarbeit!“ wird dazu animiert, „Häftlingsarbeit“ erst in Anspruch zu nehmen, wenn für die Qualitätsarbeit nicht nur faire Löhne gezahlt, sondern auch Rentenansprüche erworben werden. Forderungen, die wir als Gewerkschafter_innen nur aktiv unterstützen können.

Quelle: http://www.huffingtonpost.de/oliver-rast/knast-gefangnis-zwangsarbeit-deutschland_b_14628940.html# 

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