„Gefangene arbeiten ohne Anspruch auf Rente“

Stuttgarter Zeitung

Stuttgart, 04.03.2015, L.K. Die Möglichkeit, während einer Haftstrafe im Gefängnis arbeiten zu können, ist für die meisten Strafgefangenen sehr erstrebenswert und wichtig. Jeden Tag einer Arbeit nachgehen zu können, strukturiert den Tag, verschafft etwas Abwechslung in der alltäglichen Öde und bringt einen kleinen Verdienst, der hinter Gefängnismauern überaus wichtig ist, um die Haftzeit zu überstehen. Ohne Arbeit kein Fernseher (veraltete Modelle werden in den Haftanstalten zu völlig überhöhten Preisen an die Häftlinge verkauft oder vermietet), keine Möglichkeit, nach draußen zu telefonieren (die Telefontarife in den Justizvollzugsanstalten sind horrend hoch – der Telefonanbieter in den JVAs ist die Fa. Telio), keine Möglichkeit, persönliche Dinge und Lebensmittel einzukaufen (die Einkaufspreise für solche Dinge sind in den JVAs erheblich höher als im freien Handel, die Verköstigung der Gefangenen ist aber teilweise so schlecht, einseitig und ungesund, dass Zukäufe unerlässlich sind). So ist es nicht verwunderlich, dass wesentlich mehr Gefangene arbeiten wollen, als Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Eine regelmässige Arbeit während der Haftzeit dient zudem der Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Entlassung.

Grundsätzlich besteht bzw. bestand im deutschen Strafvollzug eine Arbeitspflicht, Zwangsarbeit also, die von einigen Bundesländern inzwischen abgeschafft wurde. Diese Pflicht zur Arbeit schuf ein rechtliches Dilemma in Bezug auf die Rentenversicherung, da nur freiwillige Arbeitsverhältnisse sozialversicherungspflichtig sind. Dieses Dilemma besteht schon sehr lange; bereits im Jahr 1976 beschloss die Bundesregierung eine Regelung, die die Arbeit von Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme einbeziehen soll. Diese Regelung wurde bisher nicht umgesetzt, das Gesetz liegt seit 38 Jahren „auf Halde“, da sich die Länder an der Finanzierung beteiligen müssten, was sie lieber vermeiden möchten.
Namhafte Firmen wie Brennenstuhl, Würth und Gardena, um nur einige zu nennen, lassen in Gefängnissen arbeiten – ein Segen sowohl für die Häftlinge, weil sie Arbeit haben, als auch für die Firmen, weil sie minimale Löhne bezahlen – und erwirtschaften dabei erkleckliche Gewinne. Darüber hinaus profitieren auch die Bundesländer extrem an der Arbeit der Häftlinge. Nach Angaben des Justizministeriums Baden-Württemberg erwirtschaftete die Gefängnisarbeit im Jahr 2001 einen Gewinn von 1,3 Mio. Euro. Im November 2011 berichtet die „Junge Welt“, dass mittlerweile in Baden-Württemberg ein jährlicher Gewinn in Höhe von 25,8 Mio. Euro erwirtschaftet wird, in Niedersachsen waren es 18,7 Millionen. Und am 1.3.15 veröffentlichte Martin Singe, Referent beim Komitee für Grundrechte und Demokratie Köln eine Mitteilung des Iserlohner Kreisanzeigers, wonach im Jahr 2008 in Nordrhein-Westfalen ein Rekordgewinn von 48,2 Mio. Euro aus der Gefangenenarbeit erzielt wurde.

So wichtig ein Verdienst für Strafgefangene ist, so geringfügig ist er dennoch. Durchschnittlich liegt er bei 250 Euro im Monat – sehr gering, wenn man die hohen Kosten für Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und Telefonate in den JVAs bedenkt. Obwohl Bundestagsabgeordnete der Linkspartei bereits am 17.4.2013 einen Antrag an den Bundestag stellten, in dem die Einbeziehung von arbeitenden Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme und eine angemessene Entlohnung gefordert wird, wurden die Gefangenen auch jetzt bei der Einführung des Mindestlohns „vergessen“.

Auf eine Anfrage betonte die Bundesregierung 2008, dass sie „die Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin für sinnvoll“ hält (Bundestagsdrucksache 16/1162). Das bekräftigte sie laut Bundestagsdrucksache 17/6589 vom 15.7.2011 nochmals. Bewegt hat sich seit 38 Jahren jedoch in dieser Hinsicht immer noch nichts. Lippenbekenntnisse helfen den Betroffenen nicht weiter. Vor allem Menschen, die lange Haftstrafen hinter sich haben, werden in eine gewollte, vorhersehbare Altersarmut entlassen. Sie haben teils jahrzehntelang gearbeitet, aber am Ende keinen Anspruch auf eine Rente. Damit werden sie de facto doppelt bestraft, zum Einen mit Freiheitsentzug und Entrechtung während der Haftzeit, zum Anderen mit Armut und völliger Perspektivlosigkeit nach ihrer Entlassung. Die Linke formuliert das in ihrem Antrag vom 17.4.2013 so: „Damit (mit der Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, Anm.d.Red.) würde auch dem Gebot des Strafvollzugsgesetzes, dass die Haftstrafe nicht zusätzlich zum Freiheitsentzug zu Nachteilen führen darf, endlich Geltung verschafft und dem Resozialisierungsgedanken auch in sozialrechtlicher Hinsicht Rechnung getragen“. Sie weist außerdem daraufhin, dass die Arbeitspflicht für Gefangene im Rahmen der Strafvollzugsgesetze der Bundesländer als unzeitgemäßes Relikt abzuschaffen ist und durch ein individuelles, einklagbares Recht auf einen Arbeitsplatz positiv ausgestaltet werden soll.
Die endlose Verzögerung der Inkraftsetzung des 1976 beschlossenen Gesetzes wird von den Betroffenen als purer Zynismus empfunden, und als uneingelöstes Versprechen der Politik seit 38 Jahren. Resozialisierung sieht anders aus.

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