Für volle Gewerkschaftsrechte hinter Gittern!

Zur Frage der Koalitionsfreiheit für Inhaftierte

Stellungnahme der GG zur Antwort des Senats auf die Kleinen Anfragen der Angeordneten Behrendt und Loderer

Mit unserer Stellungnahme reagieren wir auf die Antworten der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (SVW) bezüglich der zwei „Kleinen parlamentarischen Anfragen“ (Drucksache 17 / 13924 und Drucksache 17 / 13956) vom 17. Juni bzw. 30. Juni 2014, die von den Abgeordneten Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) und Klaus Lederer (Die Linke) gestellt wurden.

Hierbei gehen wir auf die wesentlichen Argumentationsstränge des Staatssekretärs der SVW, Alexander Straßmeir, ein, die er gegenüber den Fragestellungen von Behrendt und Lederer zieht. Der komplette Wortinhalt der Antworten aus der SVW findet sich auf unserer Homepage bzw. in der Erstausgabe von „outbreak“, dem Sprachrohr der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO).

Die Diskussion um den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für gefangene Arbeiter und Arbeiterinnen hat durch diese Parlamentsanfragen neue Nahrung bekommen. Die SVW ist hierdurch damit konfrontiert worden, sich mit diesem Themenfeld, was gleichwohl ein Minenfeld ist, zu beschäftigen. Dass die Antworten aus dem Hause des Justizsenators Heilmann zu unseren Nachteilen ausfallen, überrascht wenig.

Wir machen mit diesem (nicht ganz leichtverständlichen) Text sowohl unseren juristischen als auch politischen Standpunkt deutlich. Beide Ebenen fließen zusammen und sind im Zusammenhang mit unserer Aktivität als GG/BO nicht zu trennen.

Die Koalitionsfreiheit für Inhaftierte aus der Sicht der Senatsverwaltung

In der Antwort der SVW auf den Frageblock des Grünen-Abgeordneten Behrendt heißt es einführend, dass „[d]er Beitritt eines Inhaftierten zu einem bestehenden eingetragenen Verein, einer zugelassenen Partei oder Gewerkschaftsorganisation in keiner Form beschränkt [ist].“ Diese Erklärung des Vertreters dieser SVW ist allerdings an einem entscheidenden Punkt lückenhaft, denn der Beitritt eines Inhaftierten in einen nicht eingetragenen bzw. nicht rechtsfähigen Verein ist gleichfalls in keiner Form beschränkt. Da unser nicht eingetragener bzw. nicht rechtsfähiger Verein, die GG/BO, auf der Basis der §§ 21 i.V.m. 54 BGB seit dem 21.5.2014 existiert, kann es keinerlei Beschränkung der Mitgliedschaft von Gefangenen in unserer Gefangenen-Gewerkschaft geben.

Die SVW räumt nach eigener Aussage den Inhaftierten eine Mitgliedschaft in Vereinen und Gewerkschaften ein. Demnach ist zu schlussfolgern, dass sie von ihren Mitgliederrechten Gebrauch machen können. Ein Mitglied der GG/BO ist weiterhin berechtigt, für einen Vorstandsposten zu kandidieren oder im Auftrag des Vorstands tätig zu werden.

Die SVW bewegt sich hinsichtlich ihrer Argumentation in einer Widerspruchsfalle: Zum einen spricht die SVW den Gefangenen die Grundrechtsträgerfähigkeit nach Art. 9, Abs. 3 Grundgesetz (GG) hinsichtlich der Bildung von Koalitionen (z.B. Gewerkschaften) ab, zum anderen wird es den engagierten Inhaftierten nicht verboten, dass sie auf der Basis dieses Koalitionsrechts in der Haftanstalt einen nicht eingetragenen Verein bzw. eine Gewerkschaft gründen.

Die SVW steht vor einem Dilemma. Wenn sie zu der Meinung gelangen sollte, dass wir keine Grundrechtsträger nach Art. 9 Abs. 3 GG sind, dann hätten wir ein Betätigungsverbot zu erwarten. Ein Verbot seitens der SVW bzw. der Vollzugsbehörde ist ausgeblieben, welches zudem einen schweren Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 bedeutet hätte.

Die Gründung der GG/BO und die Mitgliederwerbung fallen dagegen in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Die SVW ist versucht, mit ihrer Rechtsansicht genau diesen schweren Eingriff in diesen Schutzbereich zu vollziehen, wenn sie uns das Koalitionsrecht de facto absprechen will.

Die Hauptfrage ist nun, ob wir als gewerkschaftliche Interessenvertretung von Gefangenen, die innerhalb und außerhalb der Haftanstalten wirkt, in diesen aufgemachten Schutzbereich fallen oder nicht.

Letztlich ist nach dem bisherigen Stand ein Betätigungsverbot als GG/BO nicht zu erwarten. Es wäre vermutlich nicht ratsam, die unterschiedlichen Rechtsansichten und –auslegungen hinsichtlich des Koalitionsrechts vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären zu lassen, denn eine eventuelle höchstrichterliche Bestätigung unserer Position würde einen Präzedenzfall darstellen.

Insgesamt überrascht uns die Rechtsinterpretation der SVW keineswegs, da selbstorganisierte und unabhängige Initiativen, wie unsere Gewerkschaftsgründung und unsere Mitgliederwerbung, den Vertreterinnen und Vertretern der Exekutive ein Dorn im Auge sind.

Fehlender Arbeitnehmer-Status im Knast

Die SVW will die Grundrechtsträgerschaft nach Art. 9 Abs. 3 darüber hinaus mit der Begründung anfechten, weil wir als Inhaftierte unter der Zwangsarbeitspflicht (§§ 37, 41 StVollzG) stehen würden. Deshalb gelten die beschäftigten Inhaftierten nicht als Arbeitnehmer. Aus der Sicht der SVW werden nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer vom Funktionsbereich der Koalitionsfreiheit umfasst. Das müsste ja in der Konsequenz bedeuten, dass sich bspw. Erwerbslose nicht gewerkschaftlich organisieren können. Das ist keineswegs der Fall, da sich Nicht-Berufstätige seit einigen Jahren innerhalb des DGB in Ausschüssen zusammenfinden.

Vergegenwärtigen wir uns die Zirkelschlussargumentation der SVW: da wir als Gefangene unter das Regime der Zwangsarbeit bzw. der Arbeitspflicht fallen, befinden wir uns in einem Sonderrechtsverhältnis zum Staat. Demzufolge, so die SVW, können wir nicht als Arbeitnehmer fungieren. Um den Zirkelschluss zu schließen, folgert die SVW daraus, dass wir für uns angeblich nicht den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 geltend machen können.
Dieser Rechtsansicht der SVW ist unserer Meinung nach nicht zu folgen. Grundrechtsträger sind u.a. auch Beamtinnen und Beamte (vgl. § 57 BRRG), Richterinnen  und Richter (vgl. § 46 DRiG; BVerfGE 19, 303 [322]). Die Koalitionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik uneingeschränkt verankert ist, gilt auch für sie, so dass ihnen die Gründung von Gewerkschaften nach § 52 BeamtStG nicht verwehrt wird, obwohl sie ebenfalls nicht über einen Arbeiternehmer-/Arbeitgeber-Status verfügen. Als verbeamtete Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes gehen sie mit dem Staat ein Sonderrechtsverhältnis ein.

Wir halten die Rechtsposition, die die SVW uns als gefangene Arbeiter und Arbeiterinnen gegenüber einnimmt, für ermessensfehlerhaft, da diese die Analogie zur Grundrechtsträgerschaft von Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richtern, die sich u.a. auf Entscheidungen des BVerfG stützt, ignoriert. Denn eine zentrale Parallele tut sich zu inhaftierten Menschen auf, die  ferner einem öffentlich-rechtlichen Sonderrecht unterliegen. Nach herrschender Rechtsauffassung, die mit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 Gültigkeit erlangt hat (BVerfGE 33, 1), können Strafgefangene nicht von den Grundrechten ausgeschlossen werden. Dass Gefangene unter dem Diktat der Arbeitspflicht stehen und hierdurch einen spezifischen Rechtsstatus haben, kann nicht bedeuten, sie von der Grundrechtsträgerschaft nach Art. 9 Abs. 3 auszuklammern. Was verbeamteten Angehörigen des Öffentlichen Dienstes eingeräumt wird, kann Gefangenen nicht vorenthalten werden, sonst wäre von einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3, Abs. 1 GG auszugehen.

Da die Entscheidung der SVW auf Ermessensfehlern beruht, ist sie rechtswidrig. Die SVW berücksichtigt nicht die Aspekte einer Rechtsauslegung, die zugunsten der GG/BO sprechen (können). Hierin  ist ferner ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu sehen.

Die Gewerkschaft als sozialer Ort – drinnen und draußen

Gewerkschaften sind ein Ort der sozialen Begegnung und des zwischenmenschlichen Austauschs. Es finden Auseinandersetzungen um die Bedingungen und Erfordernisse von Veränderungen in der Arbeitswelt unter den engagierten Gewerkschaftsmitgliedern statt – vor und hinter den Knasttoren.

Diese Form der Ausbildung von sozialer Kompetenz befindet sich  in völligem Einklang mit dem sog. Resozialisierungsgrundsatz aus § 2 StVollzG. Und da „[d]as Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden soll“ (§ 3 Abs. 1 StVollzG), entspricht eine gewerkschaftliche Tätigkeit von Gefangenen im Rahmen einer Gewerkschaftsvereinigung diesen Maßgaben aus dem StVollzG.

Die faktische Zwangsarbeit bzw. die Arbeitspflicht für Inhaftierte vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgrundsatz, die aus dem Art. 12 Abs. 3 GG und § 41 StVollzG abgeleitet wird, ist aufgrund von Urteilen des BVerfG relativiert worden. Demnach kann keine rechtliche Auslegung mehr erfolgen, die sich auf den bloßen Wortlaut bezieht. Die Arbeitspflicht ist nur zulässig, wenn sie dem sog. Resozialisierungsgrundsatz nicht widerspricht und auf die Resozialisierung abstellt. (BVerfGE 98, 169 = ZfSrVo 1998, 242, 247 = NJW 1998, 3337, 3339)

Die resozialisierende Wirkung der gewerkschaftlichen Tätigkeit kann nur Vorrang gegenüber der Zwangsmaßnahme der Arbeitspflicht haben, die als Relikt in der Neufassung des StVollzG in einigen Bundesländern bereits nicht mehr vorkommt.

Also: Bevor eine Infragestellung der Grundrechtsträgerschaft nach Art. 9 Abs. 3 GG aus der fehlenden Arbeitnehmereigenschaft gegenüber Gefangenen abgeleitet  wird, hat eine Abwägung hinsichtlich des Ziels der Resozialisierung stattzufinden. Und diese kann nach unserem Verständnis nur so ausfallen, die Betätigungsfreiheit von gewerkschaftlich organisierten Gefangenen zu garantieren.

Es ist nach dem StVollzG (§ 3 Abs. 3) Aufgabe der Vollzugsbehörde, den Gefangenen und die Gefangene auf das Leben nach der Haft in der (relativen) Freiheit vorzubereiten. Wir als GG/BO verpflichten uns, den Idealen der Freiheit, Autonomie und Solidarität mit unseren Aktivitäten einen konkreten Ausdruck zu geben.

Der Schritt der Gründung der Gefangenen-Gewerkschaft ist längst vollzogen

Wir sind jederzeit im Verbund mit unseren solidarischen Kollegen und Kolleginnen draußen bereit, für unsere vollen Gewerkschaftsrechte einzutreten und uns juristisch zu schlagen. Wir sind zuversichtlich, in einem solchen Falle nicht zu unterliegen. Dies befürchtet auch die SVW und aufgrund dessen ist ihre Zurückhaltung uns gegenüber zu erklären.

Es ist schlicht und einfach Fakt: die GG/BO wurde gegründet, sie besteht und wirkt als gewerkschaftliche Vertretung der Interessen der (arbeitenden) Gefangenen mit ihrem Hauptsitz im Haus der Demokratie (HdD) in Berlin. Unsere Homepage unter www.gefangenengewerkschaft.de ist seit dem 1.Juli 2014 online, wir haben begonnen, Mitglieder zu werben, und wir konnten uns auf weitere JVA´s (Plötzensee, Willich, Aschaffenburg, Dresden) dieser Republik ausweiten. Das sind Realitäten.

Die am 27.05.2014 beschlagnahmten Gewerkschaftsunterlagen während der Zellenrazzien bei unserem Sprecher der GG/BO und dem GG-Sprecher der JVA Tegel wurden einige Tage später nach einer Anhörung wieder vollständig ausgehändigt. In der Tageszeitung „taz“ vom 30.5.2014 wird die Pressesprecherin der SVW, Lisa Jani, mit der Aussage wiedergegeben, dass man nicht gegen die Gewerkschaftsgründung vorgehen werde. Dies bestätigt sich in der SVW-Antwort auf die Behrendt-Anfrage, wonach „[w]eiterführende Maßnahmen nicht veranlasst [wurden].“

Die Vorgehensweisen der SVW und der Vollzugsbehörde bzw. die entsprechenden Erklärungen geben Anlass, dass wir glauben und vertrauen dürfen, dass unsere Gründung und Aktivität nicht durch Verbotsverfügungen torpediert wird. Hierdurch ist das Tatbestandsmerkmal des Vertrauensschutzes gegeben. Die SVW bzw. die Vollzugsbehörde ist hiermit eine Selbstbindung eingegangen. Aus dieser Selbstbindung resultiert ein Vertrauensschutz, auf den wir uns explizit berufen und den die Mitglieder der GG/BO uns gegenüber einfordern können.

Des Weiteren sehen wir das BVerfG auf unserer Seite. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 14. März 1972 (BVerfGE 33, 1, 11) festgestellt, dass der Gefangene und die Gefangene gleichfalls Grundrechtsträger sind. Ausdrücklich wird die traditionelle Konzeption eines „besonderen Gewaltverhältnisses“ abgelehnt, die es zugelassen habe, „die Grundrechte des Strafgefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren.“ (BVerfGE 33, 1,11)

Unsere Argumentation ist zudem durch die Interpretation von erfahrenen Juristen und Juristinnen gedeckt: „Keine grundsätzlichen Bedenken bestehen dagegen, die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG und die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 auch Strafgefangenen einzuräumen. Die Freiheitsentziehung als solche bringt zwar wesentliche Beschränkungen mit sich, doch ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Rechte für Strafgefangene ohne jede praktische Bedeutung bleiben sollten. § 196 StVollzG nennt sie jedenfalls nicht unter den eingeschränkten Grundrechten.“ (Feest/Däubler/Spaniol, S. 232 vor § 37 StVollzGRn. 27)

Wenn der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG für uns eröffnet ist, dann kann eine Einschränkung des Grundrechts der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit nur im Rahmen sog. verfassungsimmanenter Schranken (ungeschriebene Grundrechtsbegrenzungen) vorgenommen werden. Die Kompetenz zur Einschränkung sog. schrankenloser Grundrechte obliegt ausschließlich dem BVerfG. (BVerfGE 30, 173/193; BVerfGE 47, 327/369)
Ein (bewusstes?) Versäumnis der SVW liegt darin, diese Entscheidungen des BVerfG in ihrer inhaltlichen Rechtfertigung umgangen zu haben. Dies hätte allerdings dazu führen müssen, die Resozialisierungswirkung einer Gewerkschaftsarbeit von Gefangenen höher zu bewerten, als die der Zwangsarbeitspflicht im Knast. Hierdurch hätte abschließend nur festgestellt werden können, dass wir uns zu Recht auf den Art. 9 Abs. 3 GG berufen.

Auslegungssache: „Sicherheit und Ordnung“ in der JVA

Die SVW spricht in ihrer Beantwortung der Fragen des Abgeordneten Behrendt davon, dass im Zusammenhang von Vereinigungen in der Haftanstalt „die Gefangene und der Gefangene der allgemeinen Beschränkung seiner Freiheit nur dann [unterliegt], wenn dieses zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich ist – § 4 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) -.“ Diese anstaltstypische Rechtsposition stützt sich auf Entscheidungen des BVerfG.

Unserer Auffassung nach kann von einer Gewerkschaftsgründung und von gewerkschaftlichen Aktivitäten keine Gefahr für die „Sicherheit und Ordnung“ in der JVA ausgehen. Wir sind zudem mit einem solchen Vorwurf weder von der SVW noch von der Vollzugsbehörde konfrontiert worden. Geschweige denn ist ein Betätigungsverbot seitens der Behörden ausgesprochen worden. Wir wissen allerdings, dass die Formel der Aufrechterhaltung von „Sicherheit und Ordnung“ im Strafvollzug eine sehr elastische Anwendung finden kann, die bis zur repressiven Willkür der Amtshandlungen reichen kann.

Worum geht es uns? Wir beanspruchen lediglich unser (nicht einschränkbares) Grundrecht auf Koalitionsfreiheit; ein Grundrecht, das wir als GG/BO zur Artikulation der legitimen Interessen der (arbeitenden) Gefangenen wahrnehmen. Daraus lässt sich kein Strick drehen!

Des Weiteren richten sich unsere beiden Kernforderungen nach Mindestlohn und Rente für beschäftigte Inhaftierte nicht an die Haftanstalt, sondern an die Legislative, d.h. an die gesetzgebende Gewalt in diesem Staat.

Knastarbeit und „freier Arbeitsmarkt“

Die SVW behauptet in ihrer Antwort auf die Fragen des Abgeordneten Lederer, „dass die Arbeit und die Entlohnung von Gefangenen strukturell nicht mit der Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar sind.“ Das halten wir für eine steile These. In den (produktiven) Arbeitsbetrieben der JVA werden die gleichen (handwerklichen) Tätigkeiten verrichtet wie in den Werkshallen und Betrieben vor den Anstaltstoren. Die Akkordhetze, d.h. eine Bezahlung der gefangenen Arbeiter und Arbeiterinnen auf Stücklohnbasis, ist in den sog. Unternehmerbetrieben teilweise üblich.

Die JVA preist ausdrücklich ihre von den Inhaftierten geschaffenen Produkte öffentlich an. Die JVA-Betriebe konkurrieren mit den Firmen und Unternehmen auf dem „freien Markt“. Aber nicht nur das: Aufgrund der institutionalisierten Billiglöhnerei in den Anstaltswerkstätten unterbietet die JVA systematisch die Preisgestaltung in der Betriebslandschaft vor den Knasttoren.

Vor diesem Hintergrund kann es nur als zynisch bezeichnet werden, wenn die SVW in ihrer Stellungnahme hervorhebt, dass „[e]in erheblicher Teil der Gefangenen nur eingeschränkt in der Lage [ist], den Anforderungen des freien Arbeitsmarktes zu genügen und konzentriert über viele Stunden zu arbeiten.“

Ein erheblicher Teil der Gefangenen hat stattdessen vor der Haft eine Ausbildung absolviert, im erlernten Beruf gearbeitet und sich bspw. über Fortbildungsmaßnahmen weiterqualifiziert. Ein Blick in die Statistik der Rentenkasse sollte dies bestätigen.
Insbesondere sind die in den JVA-Handwerksbetrieben beschäftigten Inhaftierten nach der Knastzeit gern gesehene Lohnabhängige in den Unternehmungen aus der Handwerks- und Baubranche.

Wir halten die SVW-Argumentation auch deshalb für abwegig, weil die Inhaftierten nicht einsitzen, weil sie nicht in der Lage waren, draußen einer (Lohn-)Arbeit nachzugehen, sondern weil ihnen strafrechtlich relevante Taten zum Verhängnis wurden.
Wir können den Spieß auch umdrehen: Wenn die gefangenen Arbeiter und Arbeiterinnen, denen laut SVW „zunächst der Erwerb von Kompetenzen wie Durchhaltevermögen, Konzentrationsfähigkeit und Frustrationstoleranz vermittelt werden“ muss, de facto tagein und tagaus einer „unproduktiven“ Beschäftigung nachgehen, weshalb werden sie dann bis zu ihrem Entlassungstermin zur Arbeit per Gesetz gezwungen?

Wir haben jedenfalls den Eindruck, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus äußerst bequem auf ihren in der JVA-Polsterei produzierten Sitzmöbeln Platz nehmen …

Der arbeitende Gefangene als Kostenfaktor?

Die SVW behauptet in ihren Ausführungen zur „Kleinen parlamentarischen Anfrage“ des Linken-Politikers Lederer, dass „[b]ereits mit der derzeit bestehenden Entlohnung von Gefangenen die Arbeit und Qualifizierung von Inhaftierten in erheblichem Maße staatlich subventioniert [wird].“

Wir fragen uns, was dieser Satz letztlich aussagen soll? Soll das bedeuten, dass die in den JVA-Betrieben in Berlin-Tegel beschäftigten Inhaftierten für den schulischen Unterricht im Sinne einer Qualifizierungsmaßnahme von anderen Gefangenen aufkommen sollen? Heißt das, dass deshalb die arbeitenden Gefangenen mit den Dumpinglöhnen abgespeist werden, weil sie durch ihre verbrauchte Arbeitskraft die Ausbildung von Mithäftlingen zu finanzieren haben?

Wenn der Staat in die Qualifizierung (Ausbildung, Schule, Studium, Umschulung etc.) von Menschen investiert, dann entspricht dies dem Sozialstaatsprinzip – drinnen wie draußen.

Wir fragen konkret: Welche Arbeit von Gefangenen in welchem JVA-Betrieb wird staatlicherseits subventioniert? Wir meinen dagegen, dass der produzierte Umsatz, den ausschließlich die malochenden Inhaftierten erwirtschaften, absolut kostendeckend, wenn nicht sogar profitabel ist. Mehr noch: der produzierte Mehrwert wird den arbeitenden Gefangenen genauso geklaut wie den Lohnabhängigen draußen. Hier wie dort gilt das alte Gewerkschaftsprinzip, sich seine Arbeitsleistung so teuer wie möglich bezahlen zu lassen.

Wir sind als GG/BO bereit, die „Wirtschaftlichkeit der Knastarbeit“ anhand eines belastbaren Zahlenwerks aus den JVA-Betrieben zu überprüfen. Es wäre interessant zu ermitteln, wo die finanziellen Sickergruben der Knäste tatsächlich zu finden sind …

Die Argumentation der SVW geht rundweg fehl, wenn wir berücksichtigen, dass die Gefangenen diverse Tätigkeiten im Knast ausführen, für die sonst die JVA-Verwaltung zuständig wäre. Verbeamtete Bedienstete oder externe Dienstleister müssten dann eingesetzt werden, was einen wirklichen Kostenfaktor darstellen würde. Um es auf den Punkt zu bringen: Da die Vollzugsbehörde eine Vielzahl von knastinternen Tätigkeiten auf die Inhaftierten abwälzt, erfolgt aufgrund der hemmungslosen Ausbeutung der Gefangenenarbeit eine zwar nicht zu beziffernde, aber vermutlich hohe Einsparung von Personalkosten. Die SVW spricht von einer Subventionierung der Gefangenenarbeit – das Gegenteil ist richtig: die Inhaftierten halten im Grunde den Knastladen aufrecht und finanzieren faktisch die Anstaltsverwaltung.

Die SVW führt darüber hinaus an, „dass Gefangene, die innerhalb der Justizvollzugsanstalt arbeiten, von der Zahlung von Haftkosten befreit sind und eine volle, beitragsfreie Gesundheitsfürsorge in Anspruch nehmen können.“ Wir lassen an dieser Stelle den „Standard“ der Unterbringung im Verwahrvollzug beiseite; ebenso enthalten wir uns in diesem Textbeitrag eines Votums hinsichtlich der „Gesundheitsfürsorge“ im Knast. Wir fordern schlicht und ergreifend, dass wir als Strafgefangene wie im Offenen Vollzug anteilig die Haftkosten übernehmen und krankenversichert sind. Hierzu ist es aber erforderlich, uns einen ortsüblichen (Mindest-)Lohn zu zahlen und den Ausbeutungsgrad unserer Arbeitsleistung drastisch zu drosseln. Wir als GG/BO setzen uns u.a. hierfür entschieden ein!

Was bezweckt die SVW – und was folgt daraus?

Der Versuch der SVW für Justiz und Verbraucherschutz, uns aus dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 auszuschließen, kann unserer Ansicht nach einer juristischen Prüfung nicht standhalten.

Die SVW verfolgt offenkundig mit ihrer rechtswidrigen Begründung keine juristische, sondern eine politische Zielsetzung. Eine derartige politisch motivierte Vorgehensweise ist zurückzuweisen, zumal das BVerfG jegliche Behinderung einer gewerkschaftliche Tätigkeit und der Mitgliederwerbung für unzulässig erklärt hat. (vgl. BVerGE 28, 295 ff. / 304))

Wir wenden uns ausdrücklich dagegen, dass uns Hemmnisse in den Weg unseres Gewerkschaftsaufbaus gelegt werden. Ebenso richten wir uns vorbeugend gegen etwaige weitere Einschüchterungsversuche (Zellenrazzien u. dergl.) durch die Vollzugsbehörde bzw. die SVW. Wir hoffen in diesem Zusammenhang, dass u.a. weiterhin Pressevertreterinnen und –vertreter unsere gewerkschaftliche Tätigkeit als GG/BO aufmerksam begleiten.

Der wirkungsvollste Selbstschutz unserer Initiative liegt letztlich darin, wenn wir innerhalb und außerhalb der Knäste unsere Mitgliederbasis weiter stärken und kein Knast in der Bundesrepublik mehr ohne Gefangenen-Gewerkschaft ist. Das führt nicht nur zu einem notwendigen organisatorischen Ausbau der GG/BO, sondern ebenso zu einem selbstbewussteren Auftreten von Gefangenen, um legitime Forderungen zu stellen und deren Umsetzung zu erstreiten.

Wir setzen politisch auf die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen (Basis-)Gewerkschaften vor den Toren der Haftanstalten, damit wir die vollen Gewerkschaftsrechte auch hinter Gittern Zug um Zug durchsetzen …

1 Kommentar

  1. Da sieht man doch wieder in den Knästen wo die größten “ Verbrecher “ sitzen sowohl ihren Dienst nach Vorschrift tun.Alles im Auftrag des JM,überall die gleiche Scheiße die sie abziehen ( Mafia trägt schwarz ).Faschisten wo man hinsehen muß und davon sehr viele das “ Nazi – Gen “ ist überall und das Böse ist immer und überall.
    Artikel 9 Abs.3 GG muß es in allen Knästen geben.
    Eine Gewerkschaft muß es in den Knästen geben,jetzt erst recht nach der Preisverleihung des “ Fritz – Bauer – Preis -.Jetzt geben wir von der GG/BO so richtig Gas,im Namen des Volkes “ : Weisheit wird unser Hammer sein Besonnenheit der Nagel“ auf geht`s Jungs
    Gruß
    Jürgen Rößner

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