55 Tage Hungerstreik für die Menschenrechte

55 Tage Hungerstreik für die Menschenrechte

Gülaferit Ünsal Am 29. Mai hat Gülaferit Ünsal ihren Hungerstreik nach 54 Tagen erfolgreich beendet.

Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied Peter Nowak

. Die Gefängnisleitung hat in einer Vereinbarung zugsagt, dass sie sämtliche Forderungen erfüllen wird. Die Nachricht wurde am Freitagabend mit großer Freude von dem ca.   60 solidarischen Menschen  aufgenommen, die sich vor der JVA für Frauen in Pankow versammelt hatten, um Gülaferit Ünsal ihre Solidarität auszudrücken.

Mehrmals wöchentlich haben in den letzten Wochen Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der JVA stattgefunden.. Organisiert werden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. In deutscher und türkischer Sprache werden Solidaritätserklärungen verlesen. Zwischendurch wird Musik in beiden Sprachen gespielt. Die Teilnehmer_innen der Kundgebungen hielten Plakate mit dem Konterfei von Gülaferit Ünsal hoch, die sich seit dem 6. April in der JVA im Hungerstreik befindet. Sie wehrt sich so nach eigenen Angaben gegen Schikanen durch Mitgefangene und die Postzensur, denn linke Zeitungen in deutscher und türkischer Sprache erhält sie nicht oder nur mit großer Verzögerung. Ünsal wurde im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt. Es handelt sich dabei um die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C), eine militante marxistisch-leninistische Organisation in der Türkei. Als geistig klar, aber körperlich sehr geschwächt beschreibt ein Mann, der Ünsal im Gefängnis besucht hat, ihren Zustand nach über fünfzig Tagen Hungerstreik. Ein körperlicher Zusammenbruch war  jederzeit möglich.

 Die Schwierigkeiten der Solidarität im Gefängnis

Dass es jetzt zu einer Einigung in letzter Minute gekommen ist, lag auch an der Einschaltung der Vermittlerin Canan Bayram (MdA/Grüne). Sie hatte Ünsal in den letzten Tagen mehrmals in der JVA besucht und längere Gespräche mit ihr geführt. Dabei war es ein großer Vorteil,  dass beide Seiten auf Türkisch kommunizieren konnten.  Ünsal konnte so den Hungerstreik noch in den Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte beschließen. Sie hatte die Befürchtung, dass die bald das Bewusstsein verliert und dann nicht mehr über sich selber bestimmen kann. Ünsal hat schon mal einen längeren Hungerstreik in   einen türkischen Gefängnis  geführt. Damals war sie allerdings Teil eines Gefangenenkollektivs, das sich gegenseitig schützt  und auf sich aufpasst. In Berlin war Ünsal größtenteils umgeben von politisch unbewussten Gefangenen, die für kleine Vergünstigungen bereit waren,  Ünsal zu beleidigen, zu provozieren etc. Dabei geht es nicht um eine Unterscheidung zwischen politischen   und sozialen Gefangenen, sondern um die Frage, ob man zu solidarischen Beziehungen fähig ist oder ob man die Ausgrenzungsmechanismen der Gesellschaft, die Konkurrenz, die Unterwerfung nur reproduziert.

 

Die Öffentlichkeit muss den Fall beobachten.

Ünsal hat vorerst ihren Kampf gewonnen, aber dass bedeutet noch nicht, dass die Vereinbarungen auch umgesetzt werden. Demnächst soll sie wieder in die JVA Lichtenberg zurückverlegt werden, wo sie im letzten Jahr bereits von Mitgefangenen gemobbt wurde. Daher ist eine solidarische Öffentlichkeit wichtig, die genau beobachtet, ob die getroffenen Vereinbarungen auch umgesetzt werden.  Denn Bayram hat recht, wenn sie in ihrer kurzen Rede vor der JVA sagte: „Für mich als Anwältin ist es absurd, dass man mehr als 50 Tage in den Hungerstreik gehen muss, um seine Rechte zu bekommen“.  Die Rote Hilfe Berlin schreibt zum Ende des Hungerstreiks: „Dass es eines 54-tägigen, lebensgefährlichen Hungerstreiks bedurfte, um die Knastleitung schließlich zum einlenken zu bewegen, liegt schlicht und einfach daran, dass der Frauenknast in Pankow, genau wie alle anderen Knäste auch, keine widerständigen Gefangenen haben will, dass der Knast Angst davor hat, dass sich andere Gefangene überlegen ob sich an ihrer Situation nicht etwas ändern könnte.“  Der Erfolg der Gefangenengewerkschaft, die innerhalb eines Jahres über 700 Mitglieder gewonnen hat, zeigt, dass es durchaus möglich ist, gegen die Welt der Konkurrenz und des alle gegen Alle,  solidarische Strukturen auch an diesen Ort umzusetzen. Gefangene wie Ünsal können hierbei eine gute Unterstützung sein.

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Quelle: https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/55-tage-hungerstreik-fuer-die-menschenrechte

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