Wie die Linkspartei sich hinter Paragraphen versteckt und die sozialen Bewegungen am ausgestreckten Arm verhungern lässt…

Nach dem offenen Brief der Gefangenen-Gewerkschaft an die Thüringer Linkspartei

Am 12. Dezember 2016 veröffentlichten wir unseren offenen Brief an Dr. Iris Martin-Gehl, die justizpolitische Sprecherin der Linkspartei-Fraktion, d.h. der thüringischen Regierungspartei. Darin forderten wir ein Ende der Postzensur und die Möglichkeit zu gefangenengewerkschaftlichen Versammlungen in den JVAs. Schließlich hat die Linkspartei einen Bundesbeschluss vom letzten Herbst, in dem sie sich zur Unterstützung der Forderungen der Gefangenen-Gewerkschaft auf allen (!) Ebenen verpflichtet. Darin heißt es unter der Überschrift „Gewerkschaftsfreie Zonen abschaffen – Unmündigkeit überwinden!“: „Die Partei DIE LINKE erklärt sich solidarisch mit der GG/BO und unterstützt ihre Bestrebungen auf volle Gewerkschaftsanerkennung.“

Der Brief wurde zunächst ignoriert. Erst nach einer Presseanfrage des Journalisten Peter Nowak sah sich Frau Martin-Gehl offenbar genötigt, der Presse und uns eine Antwort zu zukommen zu lassen. Der entsprechende Artikel ist hier nachzulesen.

Die Antwort wurde vom Wissenschaftlichen Mitarbeiter Jens Schley verfasst. Er verweist darin zunächst auf ein Schreiben des Linkspartei-MdL Rainer Kräuter, auf das wir weiter unten eingehen werden. Im Folgenden kontert er unsere politischen Forderungen mit Verweisen auf das geltende Recht und Bundesgesetze und mit der mehrfachen Feststellung, dass die Situation innerhalb der Linkspartei diskutiert werde und es da „heterogene Standpunkte“ gäbe. Weiterhin meint er, eine Gefangenen-Gewerkschaft sei im Gesetz nicht vorgesehen, stattdessen gäbe es die Gefangenenmitverantwortung (GMV). In Reaktion auf unsere Forderung nach Taten verspricht er einen weiteren „Diskussionsprozess“.

Das oben erwähnte Schreiben von MdL Rainer Kräuter hatte sein Wahlkreismitarbeiter Johannes Häfke vor einem Jahr, am 25. Februar 2016, dem damaligen GG-Sprecher in der JVA Untermaßfeld, David Hahn, zukommen lassen. Auch hier werden Fragen in Bezug auf die Lage der inhaftierten Arbeiter_innen allein mit Verweisen auf die Rechtslage beantwortet. Weiterhin wurden knapp 50 Seiten Rechtstexte angehangen.

Um es kurz zu machen: Wir haben das eingefordert, was die Linkspartei versprochen hat, nämlich die Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern. Im Gegensatz zu der Forderung nach Mindestlohn oder Sozialversicherung ziehen Mitgliederversammlungen und freier Postverkehr keinerlei Kosten nach sich, ein kleiner Verwaltungsakt würde reichen. (Mal ganz abgesehen davon, dass auch die Mindestentlohnung und soziale Absicherung von ca. 1700 Häftlingen in Thüringen definitiv im Bereich des Möglichen ist). Doch nicht einmal das bekommt die Linkspartei hin. Stattdessen versteckt gerade sie, die als Regierungspartei Thüringens die Gesetze ändern könnte – denn der Strafvollzug ist Ländersache! – sich hinter den Gesetzen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Thüringer Linke so ihren eigenen Bundesbeschluss missachtet und bricht, zeigt sie so, wie „bewegungsnah“ sie tatsächlich ist.

Aus der ganzen Affäre konnten wir noch etwas über die Linkspartei lernen. Die ältere Funktionärsriege, mit der wir Kontakt hatten, sind alte Apparatschiks aus der DDR-Justiz und -Polizei und setzten ihre Karrieren nach der Wende fort. MdL Rainer Kräuter war ab 1984 Leutnant der Volkspolizei, verblieb bis 2014 im Polizeidienst und ist bis heute Aktivist der Gewerkschaft der Polizei (GdP). MdL Iris Martin-Gehl war von 1984 bis 1986 Richterin am Kreisgericht Leipzig und von 2000 bis 2015 Mitglied des Thüringischen Verfassungsgerichts. Sie gehörten und gehören also genau den Apparaten an, die damals wie heute die Zwangsarbeit der Gefangenen mitzuverantworten haben. Die nachkommende jüngere Riege besteht aus Parteikarrieristen, die in den Jugendstrukturen der Linkspartei hochgezogen wurden, oder arbeitslosen bzw. prekären Sozialwissenschaftlern. Der Wahlkreismitarbeiter von Rainer Kräuter, Johannes Häfke war jahrelanges Mitglied von Solid, während der wissenschaftliche Mitarbeiter Jens Schley von Beruf freier Historiker ist.

Weder die einen noch die anderen Opportunist_innen haben uns als Gefangenen-Gewerkschaft ernsthaft und ehrlich unterstützt. Sie reagieren auf unsere Forderungen durch Verweise auf Länder- und Bundesgesetze – sie „tun nur ihre Pflicht“ oder „führen Gesetzesbefehle aus“, scheinen sie so sagen zu wollen – und wollen uns so ruhigstellen. Das ist im Grunde keine Überraschung, sondern verweist auf die Rolle, die alle Parteien erfüllen: die staatlich-bürokratische Verwaltung der gesellschaftlichen Konflikte, nicht ihre solidarische Unterstützung. Während man sich in der Opposition noch als Bewegungspartei aufspielen kann, ist man als Regierungspartei offensichtlich dazu gezwungen, sich Staatsräson und patriotische Standortlogik zu eigen zu machen und das schließt die Entrechtung und Ausbeutung in Gefängnissen zwecks allgemeiner Unterwanderung der Sozialstandards und Arbeitsbedingungen ein. Wir aber lassen das mit uns nicht machen und werden weiter für die Würde und Rechte der Zwangsarbeiter_innen in den thüringischen und bundesdeutschen Haftanstalten kämpfen! Alle, die uns dabei unterstützen möchten, sind aufgerufen, mit selbstorganisiert und uns gemeinsam zu kämpfen!

Jena, 01. März 2017

 

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