„Proteste vor Gefängnissen geplant“

Schwäbisches Tagblatt

Gewerkschaft kämpft für Mindestlohn in Haftanstalten

Seit Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde – allerdings nicht für Strafgefangene. Eine neue Gewerkschaft will bessere Löhne für die Arbeit hinter Gittern. Auch für die Rente soll eingezahlt werden.

SYLVIA RIZVI

Stuttgart Der baden-württembergische Justizminister orderte bei ihnen seine Büromöbel. Das Berliner Abgeordnetenhaus bestellte dort seine Sitze. Der VfB ließ von ihnen Fan-Taschen fertigen. Inhaftierte arbeiten im Knast. Und ihre Produkte werden gekauft. Doch der Häftlingslohn ist karg. Sie erhalten neun bis 16 Euro pro Tag. Die Gefangenen-Gewerkschaft GG will das ändern.

Oliver Rast und Mehmet Aykol gründeten die Gewerkschaft im Mai 2014 in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel. Ganz legal. „Die Koalitionsfreiheit nach Artikel 9, Absatz 3 Grundgesetz berechtigt auch Gefangene zu einer Gewerkschaftsgründung“, sagt Rast.

Die Gewerkschaft fordert den Mindestlohn von 8,50 Euro auch für Inhaftierte. In den 17 Justizvollzugsanstalten im Südwesten aber haben die knapp 5000 Gefangenen mit Job nur 195 bis 320 Euro monatlich im Geldbeutel. Das Geld geht meist für Kaffee, Tabak oder Süßigkeiten drauf. An Unterhalt für die Familie ist kaum zu denken – zu Lasten der Sozialkassen. Auch die Schuldentilgung fällt aus. Oft stehen Gefangene wegen Prozesskosten, Schmerzensgeldern oder Entschädigungszahlungen hoch in der Kreide.

Die Gewerkschaft fordert nicht nur Mindestlohn. Sie verlangt, dass Gefängnisse für Häftlinge auch Rentenbeiträge einzahlen. So will es seit 38 Jahren das Strafvollzugsgesetz. Doch der Bund handelt nicht. „Die jetzige Situation ist die direkte Fahrkarte in die Altersarmut“, sagt Rast. „Prekäre Arbeitsverhältnisse sind grundsätzlich abzulehnen, vor oder hinter Knastmauern.“

Baden-Württemberg winkt ab. Die Arbeit der Gefangenen diene der Resozialisierung und beruflichen Wiedereingliederung. „Die Gefangenen fallen damit nicht unter das Mindestlohngesetz“, sagt Steffen Ganninger, Sprecher des Justizministeriums. Allein der Bund könne das ändern. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sagt: Die Länder mauerten beim Mindestlohn hinter Gittern.

Auch bei der Altersvorsorge bleibt das Land hart. Es gebe keine Versicherungspflicht, sagt Ganninger. Andere Länder dringen dagegen auf Änderungen. Das Justizministerium von Mecklenburg-Vorpommern will das Thema in Stuttgart auf dem nächsten Justizministertreffen im Juni einbringen.

Knapp 5000 Häftlinge arbeiten in den Südwest-JVA. Die einen kochen oder schrubben Gänge. Andere schreinern Möbel, ackern auf Biolandhöfen oder stellen Gartenlauben her. Wieder andere montieren für 300 Firmen wie Siemens oder Autozulieferer Geräte und Teile.

Alle Arbeitsstätten gehören zum Vollzuglichen Arbeitswesen VAW. Der Landesbetrieb wirbt mit ISO-zertifizierter Qualität. Einig scheinen sich Rast und die Justiz immerhin in einem Punkt: Aus dem Knast kommt Wertarbeit.

Rast will nun für gute Arbeit gutes Geld. Die Strafe von Inhaftierten sei Freiheitsentzug, nicht Armut. „Das bundesrepublikanische Recht sieht keine Doppelbestrafung vor“, asgt der Mann, der dreieinhalb Jahre in Tegel saß, weil er bei der „militanten Gruppe mg“ gewesen und ein Nato-Militärfahrzeug unbrauchbar gemacht haben soll.

Seit September 2014 ist Rast auf freiem Fuß. Neben seiner Arbeit als Archivar tourt er mit Info-Veranstaltungen durch die Republik. Der bekennende Räte-Kommunist beantwortet täglich zehn bis 20 Briefe von Knackis. Er und die acht GG-Organisatoren aus Berlin arbeiten ehrenamtlich und stemmen neben ihren Jobs Kundgebungen.

Inhaftierten dagegen sind Kundgebungen verboten. Bei Streiks drohen Abmahnungen, Strafzahlungen oder es wird die vorzeitige Entlassung verweigert. Für Ende April plant die GG Proteste vor Gefängnissen und Firmen, die im Knast produzieren lassen. Vielleicht schaut Justizminister Stickelberger dann wegen Demo-Lärms von seinem knast-gefertigten Schreibtisch auf.

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