„Knast als Konzern“ [2]

Kontext Wochenzeitung

von Steve Przybilla

Datum: 16.10.2013 (Update: 10.07.2014)

Für manche ist es ein Beitrag zur Resozialisierung, für andere ein Angriff auf den freien Markt: Landesweit gehen über 5000 Häftlinge arbeiten; in Heilbronn gibt es sogar einen knasteigenen Weinberg. Viele Großunternehmen lassen wegen geringer Arbeitskosten im Gefängnis produzieren – für den Mittelstand eine ernst zu nehmende Konkurrenz.

Die einzigen Gitter, die es auf dem Hohrainhof gibt, sind Fliegengitter. Zellen sucht man vergeblich: Die Gefangenen wohnen in Zimmern neben dem Kuhstall. Auch sonst sieht die „Staatsdomäne“ wie jeder andere Bauernhof aus: Heuballen, Mistgabeln, Futtertröge. Am Horizont fährt ein Traktor übers Maisfeld, neben dem sich Weinreben auf einer Fläche von zehn Hektar erstrecken.

Der Hohrainhof gehört zur JVA Heilbronn. Wie überall in Gefängnissen können Insassen dort einer Arbeit nachgehen. Die Häftlinge im Stadtzentrum fräsen Holzstücke, bauen Elektroteile zusammen oder machen eine Metzger-Ausbildung. Wer gute Führung beweist und einen Großteil seiner Haft abgesessen hat, kann zur Außenstelle wechseln. Dort lernen die Inhaftierten, wie man Kühle melkt, Früchte erntet und Wein anbaut.

„Für viele ist das eine einmalige Therapie“, sagt Stephan Oppenländer, 44 Jahre alt, der den Weinanbau auf dem Hof leitet. Von den 330 Gefangenen, die in Heilbronn einsitzen, dürfen 16 auf dem Land arbeiten. Die Kontrollen dort sind lockerer als in der Stadt: Mehrmals am Tag wird gezählt, ansonsten eigenständig gearbeitet. „Hin und wieder läuft mal einer weg“, sagt Oppenländer. „Aber bisher haben wir jeden wiederbekommen.“

Raymond Allweil pflügt den Boden. Der 48-Jährige muss eine dreieinhalbjährige Haftstrafe verbüßen. „Weil ich zu viel Gras verkauft habe“, wie er sagt. Zusammen mit seinen „Kollegen“ kümmert sich Allweil um die Reben auf dem Hof. „Als Stadtmensch ist das nicht so meine Welt“, sagt er. Trotzdem sei die anstrengende Arbeit viel besser als im Heilbronner Knast. „Hier hockt man nicht so aufeinander.“

Das fertige Produkt darf Allweil nicht kosten – Alkohol ist im Gefängnis tabu. Dafür wird der Wein nach draußen verkauft. 60 000 Flaschen gehen jährlich über den Ladentisch, was der JVA Heilbronn einen Umsatz von 230 000 Euro und einen jährlichen Gewinn von 25 000 Euro beschert.

Während der Weinberg einmalig ist, existieren Gefängnisbetriebe überall in Deutschland. „Wir lassen Sie nicht sitzen“ lautet das durchaus doppeldeutig gemeinte Motto, mit dem das Landesjustizministerium das „Vollzugliche Arbeitswesen“ (VAW) lobpreist. Dass der Staat gut lachen hat, verwundert nicht, denn von den Arbeitsbedingungen können die meisten Arbeitgeber nur träumen: Der durchschnittliche Insasse verdient zwei Euro pro Stunde. Es gibt eine Arbeitspflicht, aber keine Gewerkschaften. Wenn die „Angestellten“ Feierabend haben, benötigen sie nur wenige Meter bis nach Hause – in ihre Zellen.

Hinter den Mauern hat sich längst ein schlagkräftiges Wirtschaftssystem etabliert. 7139 Inhaftierte verbüßen derzeit in baden-württembergischen Gefängnissen eine Strafe; 5040 von ihnen gehen dort einer Arbeit nach. Für die meisten bedeutet das eine willkommene Abwechslung vom Alltag.

Jenseits der Mauern stoßen die staatlich subventionierten Handwerksbetriebe dagegen nicht immer auf Gegenliebe. „Bis ein Schreiner sich eine moderne CNC-Maschine leisten kann, hat die JVA schon zwei neue“, sagt Bernhard Schwär. Als Obermeister der Freiburger Schreiner-Innung hält er sich oft im Gefängnis auf, nimmt den Insassen auch die Gesellenprüfung ab.

„In der JVA ist alles nagelneu, besser als in einer normalen Schreinerei“, sagt Schwär. Im Vergleich zum Knast sei das Preisniveau draußen mindestens zehn Mal so hoch. Die Folge sind Auftragsverluste. „Einmal sollte ich Wahlplakate herstellen“, erzählt Schwär. „Die JVA hat fünf Euro pro Stück verlangt. Als ich 17 Euro geboten habe, wurde ich ausgelacht.“ So dienen die Gefängnisse vielen Großkunden als „verlängerte Werkbank“. Mal polieren sie Mercedes-Sterne, ein anderes Mal produzieren sie Porsche-Auspuffe.

Doch längst nicht nur die Großindustrie handelt mit Produkten aus dem Kittchen. Jeder kann sie kaufen und zuvor in einem Hochglanzkatalog studieren. Dort werden Büromöbel der Knast-eigenen Marken „Stilisto“ und „Classico“ präsentiert. Ab einem Wert von 150 Euro erfolgt die Lieferung sogar frei Haus. Dennoch kommt dem VAW laut Justizministerium „keine besondere Bedeutung“ als Wirtschaftsfaktor zu. Schließlich müssen Gefangene auch bewacht werden – ein zusätzlicher Kostenpunkt. „Das VAW ist mehr Partner denn Konkurrenz der freien Wirtschaft“, verteidigt Sprecherin Martina Schäfer die Maloche hinter Gittern.

Bringt die Knast-Arbeit den Mittelstand also in die Bredouille? Zumindest beim Weinbau geben sich die Verantwortlichen zurückhaltend. „Wir sehen die Arbeit auf dem Hohrainhof als notwendige Therapie“, erklärt Klaus Seiter, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Heilbronn. „In der Umgebung gibt es Betriebe mit einer Anbaufläche von 300 Hektar. Das ist eine ganz andere Dimension.“

Hintergrund: Das „Vollzugliche Arbeitswesen“ funktioniert wie ein Konzern: In Stuttgart dirigiert die Zentrale ihre 18 Niederlassungen, die je nach Standort verschiedene Leistungen anbieten. Der Landesbetrieb als Gesamtkonzern machte 2011 einen Gewinn von 1,86 Millionen Euro, wobei in den „Filialen“ große Schwankungen auftraten: So machte das Mannheimer Gefängnis 156 617 Euro Verlust, während die JVA Ulm einen Gewinn von über einer Million Euro erwirtschaftete. Freiburg schreibt seit 2006 schwarze Zahlen und machte 2011 einen Gewinn von 132 049 Euro. Die Zahlen von 2012 liegen laut Justizministerium noch nicht vor.

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