Billiglöhner mit Crime-Faktor

Gefangene verdienen wenig und zahlen nichts in die Rente ein – zumindest Letzteres könnte sich bald ändern

Per Klick aus dem Gefängnis ins Wohnzimmer: Aus 36 bayerischen Gefängnissen werden seit Anfang Februar im Online-Shop Haftsache.de Waren für die ganze Familie angeboten: Schaukelpferde (125 Euro), Smartphonetaschen (18 Euro), Pfannen (65 Euro) oder ein Bierkasten-Tischaufsatz (60 Euro). Damit reiht sich der Freistaat in die Liste der Bundesländer ein, die von Sträflingen in Justizvollzugsanstalten (JVA) gefertigte Produkte verkaufen. Die Produktideen stammen von Gefangenen, Mitarbeitern und von Münchner Design-Studenten. Der Start des JVA-Shops lief nach Angaben des Justizministeriums gut: Klickzahlen und Bestellungen seien „hocherfreulich“.


Doch Oliver Rast von der Gefangenen-Gewerkschaft aus Berlin, ruft zum Boykott auf. „Shopping-Malls mit Crime-Faktor“ nennt er die JVA-Shops. „Die in den Haftanstalten produzierten Waren erfolgen unter Arbeitsbedingungen, die eigentlich nur der Vergangenheit angehören können“, schimpft Rast. Tatsächlich herrscht in Bayern für die Häftlinge Arbeitszwang. Ein Mindestlohn existiert nicht. Die Stundenlöhne betragen 1,21 bis 2,01 Euro. Und Rentenversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Kündigungsschutz kennt man im Knast ebenfalls nicht. Im Gegenzug könnten Staat und Unternehmen menschliche Arbeitskraft „fast zum Nulltarif“ abschöpfen, kritisiert Rast.

Das Justizministerium argumentiert, dass die Arbeit der Strafgefangenen der Resozialisierung und nicht dem Lebensunterhalt dienen soll. 21 Prozent hätten bei der Inhaftierung keinen Schulabschluss, 54 Prozent keinen Berufsabschluss und 61 Prozent keinen Job gehabt. „Da die Gesamtausgaben des Strafvollzugs die Arbeitseinnahmen um ein Vielfaches übersteigen, werden dadurch auch keine Gewinne erwirtschaftet“, betont ein Ministeriumssprecher. 2016 hätten die Einnahmen bei 42 Millionen Euro, die Ausgaben bei 395 Millionen Euro gelegen. Bei einer Gesetzesänderung fürchtet das Ministerium viele der rund 150 Auftraggeber zu verlieren: „Eine spürbare Erhöhung der Gefangenenentlohnung – etwa durch Einführung eines Mindestlohns – hätte zur Folge, dass weniger Unternehmen für eine Zusammenarbeit gewonnen werden könnten.“ Auch am Arbeitszwang für Gefangene hält die Staatsregierung fest.

Altersarmut lebenslänglich

Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass Arbeit nur eines von mehreren Mitteln zur Resozialisierung ist, haben andere Bundesländer die Arbeitspflicht abgeschafft – beispielsweise Rheinland-Pfalz. „Arbeit im Vollzug ist aber ein knappes und daher begehrtes Gut“, erklärt ein Sprecher des dortigen Justizministers Herbert Mertin (FDP). In Sachsen beispielsweise hatte das Ende der Zwangsarbeit 2013 keine Auswirkungen auf die geleistete Arbeitszeit: Sie liegt konstant bei 2,8 Millionen Stunden. Die Arbeitseinnahmen konnten dort in den letzten drei Jahren sogar von 6,9 auf 7,4 Millionen Euro gesteigert werden. Ein höherer Stundenlohn ist dennoch weder in Sachsen noch in Rheinland-Pfalz geplant.

Der Arbeitsrechtler Volker Rieble vom Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht in München weist darauf hin, dass die Kosten des Strafvollzugs grundsätzlich von den Verurteilten zu tragen sind. „Wer ’gerechten Lohn’ im Knast fordert, der muss spiegelbildlich auch die ’gerechte Haftung’ des verurteilten Straftäters einfordern“, meint er. Also die Beteiligung der Inhaftierten an den Haftkosten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) möchte zumindest erreichen, dass die rund 61 000 Gefangenen in Deutschland gesetzlich rentenversichert werden. Denn obwohl schon das 1976 verabschiedete Strafvollzugsgesetz vorsah, Gefangene in alle Sozialversicherungssysteme einzubeziehen, gibt es bis heute kein entsprechendes Bundesgesetz. „Gescheitert ist eine Lösung bisher vor allem an der Blockadehaltung der Bundesländer, die die Beiträge für die Rentenversicherung übernehmen müssten“, erklärt BAG-S-Vorsitzende Gabriele Sauermann. Menschen mit langen Haftstrafen hätten dadurch zu geringe Altersrenten und häufig Altersarmut „lebenslänglich“.

Immerhin ist das Thema mittlerweile bei der Justizministerkonferenz (JUMIKO) angekommen. Bereits im Juni 2015 wurde vom Strafvollzugsausschuss der Länder eine Arbeitsgruppe eingerichtet, welche finanzielle Auswirkungen auf die Rentenversicherung prüfen soll. Allerdings schaffte es der Punkt im November letzten Jahres nicht auf die Tagesordnung der JUMIKO. „Eine abschließende Meinungsbildung liegt bisher nicht vor“, erläutert ein Sprecher von Justizminister Bausback. Aus bayerischer Sicht gebe es zwar „gute vollzugliche Argumente für einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz“. Es müssten aber auch die Folgekosten im Blick behalten werden.

Bei der Rente für Sträflinge ist die SPD in Bayern ebenfalls zurückhaltend: Eine Gleichstellung mit Arbeitnehmern sei „nicht zwingend geboten“, so der rechtspolitische Sprecher Franz Schindler. „Im Interesse der Resozialisierung und Wiedereingliederung nach der Entlassung sollte aber eine allmähliche Angleichung angestrebt werden.“ Mehr Druck macht der Abgeordnete beim Arbeitsentgelt für Häftlinge – dies sollte aus seiner Sicht erhöht werden.

Die Freien Wähler wollen Gefangene ebenfalls in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen. „Gerade bei Gefangenen, die eine lange Haftstrafe absitzen müssen, besteht ansonsten die Gefahr der Altersarmut“, erläutert deren Rechtsexperte Florian Streibl.

Die Grünen wiederum fordern höhere Löhne und eine Absicherung im Alter. Denn Armut nach der Entlassung sei häufig ein Motiv für weitere Straftaten, erklärt die verfassungspolitische Sprecherin Ulrike Gote. „Daher liegt eine gerechte Entlohnung der Strafgefangenen auch im Interesse der Gesellschaft.“ Ob’s klappt? Die nächste Sitzung der JUMIKO findet am 21. Juni 2017 in Deidesheim statt. (David Lohmann)

Quelle: http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/politik/detailansicht-politik/artikel/billigloehner-mit-crime-faktor.html

 

Die von den einzelnen AutorInnen veröffentlichten Beiträge geben nicht die Meinung der gesamten GG/BO und ihrer Soligruppen wieder. Die GG/BO und ihre Soligruppen machen sich die Ansichten der AutorInnen nur insoweit zu eigen oder teilen diese, als dies ausdrücklich bei dem jeweiligen Text kenntlich gemacht ist.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.